Geh über Wörter wie über ein Minenfeld

Geh über Wörter wie über ein Minenfeld

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783593389066
Untertitel:
Lyrik und Prosa
Genre:
Deutsche Sprach- & Literaturwissenschaft
Autor:
Abraham Sutzkever
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 05.2009
Anzahl Seiten:
389
Erscheinungsdatum:
31.05.2009
ISBN:
978-3-593-38906-6

Mit einer Einleitung von Heather Valencia Abraham Sutzkever zählt zu den bedeutendsten Dichtern der jiddischen Literatur. Die Shoa, der er selbst nur knapp entkam, ist der zentrale Bezugspunkt seines Werkes, das zugleich große literarische Eigenständigkeit besitzt. Es wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt, in Deutschland ist es bislang jedoch nahezu unbekannt. Dieses außergewöhnliche Buch führt in Leben und Werk Sutzkevers ein und stellt eine große Auswahl seiner Gedichte und Prosastücke in deutscher Übersetzung vor.

Vorwort
Campus Judaica Herausgegeben von Renate Heuer

Autorentext
Abraham Sutzkever, 1913 geboren, war während des Zweiten Weltkriegs im Wilnaer Ghetto im Widerstand aktiv. Nach der Flucht aus dem Ghetto, kurz vor dessen Liquidierung, wurde er 1944 vom Jüdischen Antifaschistischen Komitee nach Moskau ausgeflogen. Er sagte 1946 als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen aus und floh im Jahr darauf vor den stalinistischen Säuberungsprozessen nach Palästina, wo er die Literaturzeitschrift »Di goldene kejt« (»Die goldene Kette«) herausgab. Heute lebt Abraham Sutzkever 95-jährig in Tel Aviv.

Leseprobe
Sutzkevers Leben und Lyrik Heather Valencia "Geh über Wörter wie über ein Minenfeld: Ein falscher Tritt, eine falsche Bewegung, und alle Wörter, die du ein ganzes Leben lang auf deine Adern aufgezogen hast, werden zerfetzt, und du mit ihnen " Das flüsterte mir mein leiblicher Schatten zu, als wir beide, geblendet von Scheinwerfer-Windmühlen, bei Nacht ein blutiges Minenfeld überquerten und jeder meiner Schritte, gesetzt auf Tod oder Leben, auf meinem Herzen kratzte wie ein Nagel auf einer Geige. Diese Worte beziehen sich auf ein Erlebnis Abraham Sutzkevers, als er und seine Frau im März 1944 bei Nacht ein vermintes Gelände überqueren mussten, um ein kleines Flugzeug zu erreichen, das sie in Sicherheit bringen sollte. Gleichzeitig könnten sie als Motto über seinem ganzen Leben und Schaffen stehen. Wörter sind Sutzkevers Existenz; sie leben in ihm, und er ist von ihnen abhängig. Wörter sind aber genauso zerbrechlich und explosiv wie Minen; würde er sie falsch behandeln oder zerstören, wäre auch sein eigenes Leben zu Ende. Abraham Sutzkever (jiddisch Awrom Sutskewer) gilt als der bedeutendste lebende Schriftsteller jiddischer Sprache und einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts überhaupt. Sein Werk umfasst Lyrik, epische Gedichte, kurze Prosa, autobiographische Schriften und Literaturkritik. Er hat die jiddische Literatursprache auf eine vorher unerreichte Höhe gebracht und sie durch vielfältige Neuschöpfungen bereichert. Seine Lyrik vereinigt eine klassische Strenge in Metrum, Reim und regelmäßiger strophischer Form mit einer großen sprachschöpferischen Ausdruckskraft. Sutzkevers Leben umspannt das ganze 20. Jahrhundert, und sein Werk spiegelt das Schicksal der Juden Osteuropas während jener verhängnisvollen Epoche. Er selbst entkam nur mit knapper Not der Katastrophe seines Volkes, und sein erneutes Leben und Schaffen nach dem Kriege rechtfertigt, dass er sich in einem späteren Gedicht mit einer Mischung aus Selbstironie und Stolz als "Phönix-Mensch" bezeichnet (S. 226). Seine Biographie ist äußerst aufschlussreich, ihre Kenntnis sogar unentbehrlich für das Verständnis seiner Dichtung und Prosa, wie Jost Blum geschrieben hat: "Sutzkevers Werk folgt eng den Linien seines eigenen äußeren und inneren Erlebens; es ist in hohem Maße autobiographisch, ohne sich je im Autobiographischen zu erschöpfen oder zu verlieren: Vielleicht wurden gerade deshalb große Teile seines Werkes zu einer unvergleichlichen dichterischen Chronik dieser grausam verfolgten Generation." Der literarische Hintergrund Die literarische Tradition, der Sutzkever entstammte, ist zugleich eine sehr alte und eine ziemlich junge. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kann man überhaupt von einer modernen Literatur auf Jiddisch sprechen. Sie gründete jedoch auf einer viel älteren Tradition. Das zweitausend Jahre alte hebräische Schrifttum - hauptsächlich religiös, aber immer auch mit einer säkularen Komponente - übte einen wesentlichen Einfluss auf alle jüdischen Literaturen aus, somit auch auf die moderne jiddische Prosa und Lyrik. Die meisten modernen jiddischen Schriftsteller stammten aus traditionell-religiösen Familien, erhielten eine jüdische Erziehung und waren mit der hebräischen und biblischen Literatur vertraut. Deshalb kann man von einem unmittelbaren und tiefen Einfluss dieser Tradition auf ihr Werk sprechen; das trifft auch auf Sutzkever zu. Die jiddische Literatur der Moderne entstammte einer älteren Literatur auf Jiddisch, die verschiedene Genres umfasste: Gebete, ethische, religiöse und philosophische Abhandlungen, Bibelparaphrasen, Helden-Epen, Fabeln, Volksmärchen und Lyrik. Sie blühte vom frühen Mittelalter bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, schwand dann allmählich dahin. Sutzkever hatte gute Kenntnisse dieser älteren Tradition: Im Jahre 1938 hat er altjiddische Philologie und Literatur bei Max Weinreich in Wilna studiert. Sutzkever selbst hat auch mit Gedichten in Altjiddisch experimentiert und einen der bekanntesten jiddischen Texte aus dem Mittelalter, das Bovo-buch von Elie Bocher, in modernes Jiddisch übersetzt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstand eine neue jiddische Literatur, die mit den sogenannten drei Klassikern, Mendele Mojcher Sforim, Jitschok Lejbesh Perets und Sholem Alejchem, begann, denen viele andere Schriftsteller, hauptsächlich Prosaiker, folgten. Die moderne jiddische Lyrik entwickelte sich erst später, gegen Ende des Jahrhunderts, doch machte sie in einem rasenden Tempo Wandlungen durch, die bei anderen europäischen Literaturen mehr als ein Jahrhundert dauerten. Der Auslöser für diese erstaunlichen Entwicklungen waren die weitreichenden religiösen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts die ehemals geschlossene osteuropäische jüdische Welt aufrüttelten. Die chassidische Bewegung breitete sich über große Teile Russlands und Polen aus: Ihre Anhänger lehnten den ihrer Meinung nach erstarrten rabbinischen Judaismus ab und suchten Gott in der Natur. Der Einzelne versuchte, Gott durch Musik, Tanz und seine eigenen Gebete in seiner Muttersprache - Jiddisch - zu erreichen. Einige ihrer Anführer - zum Beispiel der Baal Shem Tov, Gründer der Bewegung, und Reb Nachman Bratslaver - hinterließen einen literarischen Korpus auf Jiddisch in Form von mystischen, volkstümlichen Märchen und Sagen. Die moderne jiddische Dichtung schöpfte aus dieser Quelle, und chassidische Motive sind sogar bei Schriftstellern zu finden, die eher als weltlich zu bezeichnen sind. Gleichzeitig wurde die jüdische Welt durch eine von Deutschland ausgehende und sich später über Osteuropa ausbreitende Aufklärungsbewegung (Haskala) aufgerührt. Die Aufklärer, oder maskilim, wollten erreichen, dass die europäischen Juden in die moderne Welt eintreten und sich für die intellektuellen und wissenschaftlichen Fortschritte der nicht-jüdischen Welt öffnen. Für die maskilim war die jiddische Sprache ein besonderer Streitpunkt, weil sie Hebräisch als Kultursprache vorzogen und außerdem dafür eintraten, dass sich die jüdische Bevölkerung der jeweiligen Landessprache bedienen sollte. Allerdings mussten sich die Schriftsteller der Haskala auch des Jiddischen bedienen, um mit den Lesern kommunizieren zu können. In den meisten Fällen begannen sie dabei, die Sprache lieb zu gewinnen, und förderten ihre Entwicklung zu einer Literatursprache. Diese zwei entgegengesetzten Bewegungen kündigten tatsächlich den Anfang einer neuen Phase in der jüdischen Geschichte an, die zur allmählichen Auflösung der traditionellen ostjüdischen Welt führen sollte. Dieser Prozess begann sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu beschleunigen, als sich neue Ideen durch die jüdischen Gemeinden Osteuropas ausbreiteten: Der Sozialismus, der in dem 1897 gegründeten Bund seine spezifisch jüdische Di…


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