Europäische Erinnerungsräume

Europäische Erinnerungsräume

Einband:
Paperback
EAN:
9783593388656
Untertitel:
Deutsch
Genre:
Geschichts-Lexika
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 02.2009
Anzahl Seiten:
311
Erscheinungsdatum:
28.02.2009
ISBN:
978-3-593-38865-6

Die Verknüpfung kollektiver Erinnerung mit konkreten Orten ist ein gängiger Topos der historischen Gedächtnisforschung. Die Autorinnen und Autoren des Bandes gehen dieser Verankerung auf europäischer Ebene nach und beziehen dabei Zirkulationen und Verflechtungen von Erinnerungen zwischen Regionen und Nationen ein.

Autorentext
Kirstin Buchinger, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin. Claire Gantet, Dr. phil. habil., ist Historikerin an der Universität Paris I Panthéon Sorbonne und Privatdozentin an der FU Berlin. Jakob Vogel ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Köln.

Klappentext
Die Verknüpfung kollektiver Erinnerung mit konkreten Orten ist ein gängiger Topos der historischen Gedächtnisforschung. Die Autorinnen und Autoren des Bandes gehen dieser Verankerung auf europäischer Ebene nach und beziehen dabei Zirkulationen und Verflechtun- gen von Erinnerungen zwischen Regionen und Nationen ein.

Leseprobe
Einleitung: Räume europäischer Erinnerungen "La forme d'une ville change plus vite, on le sait, que le cur d'un mortel. Mais avant de le laisser derrière elle en proie à ses souvenirs [] il arrive aussi, il arrive plus d'une fois que, ce cur, elle l'ait changé à sa manière, rien qu'en le soumettant tout neuf encore à son climat et à son paysage, en imposant à ses perspectives intimes comme à ses songeries le canevas de ses rues, de ses boulevards et de ses parcs". Fast ein halbes Jahrhundert bevor der Schriftsteller Julien Gracq die Eindrücke eines erinnerungsschwangeren Spaziergangs durch Nantes, in dem er seine Schuljahre verbracht hatte, in dem Buch La forme d'une ville niederschrieb, hatte ein Gang durch London beim Soziologen Maurice Halbwachs ähnliche Gedanken angeregt: Einige Gebäude riefen bei ihm unerwartet persönliche Erinnerungen hervor, so als ob die relative Stabilität der sozialen Umgebung bedeutsame Erinnerungen auch über die gespeicherten Gedächtnisbestände des Individuums hinaus wiederentstehen lassen könnte. Individuelle Erinnerungen, so Halbwachs' Schlussfolgerung, seien sozial gerahmt und kollektiv, sie seien mit einer Pluralität von Bezügen ausgestattet und nicht durch ein einziges dominantes Gedächtnis überformt. Trotz der außerordentlich weiten Rezeption, die Halbwachs mit seiner Soziologie der kollektiven Erinnerungen in den letzten Jahrzehnten nicht nur unter Historikern erlebt hat, ist die Pluralität der sozialen Rahmen, die weit über den Staat bzw. die Nation hinausgehen, paradoxerweise mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Tatsächlich hat sich die Forschung im Laufe der Zeit aufgrund der breit angelegten Arbeiten, die in der Nachfolge von Pierre Noras Lieux de mémoire über die verschiedenen nationalen "Erinnerungsorte" angefertigt wurden, weitgehend auf den nationalen Rahmen verengt, so dass etwa die Erinnerungen von einzelnen gesellschaftlichen Gruppen eher am Rande mitberücksichtigt wurden. Verschwunden sind damit aber gerade die Vielfältigkeit der Bezüge und die multiplen räumlichen Verknüpfungen, durch die sich die kollektiven Erinnerungen auszeichnen und die sie in jeweils spezifischer Weise in sozialen Topographien verankern. Das vorliegende Buch möchte daher einen seit langem in der Erinnerungsforschung präsenten Faden aufnehmen und noch systematischer nach dem Verhältnis zwischen der historischen Erinnerung und ihren räumlichen, geographischen Dimensionen fragen. 1. Topographien der Forschung Bereits seit den grundlegenden Arbeiten von Maurice Halbwachs aus den 1920er und 1940er Jahren ist die Verknüpfung der Erinnerung mit konkreten Orten, die eine Art von "Topographie" der Erinnerung bilden, ein gängiges Bild der historischen Gedächtnisforschung. Auch Jan und Aleida Assmann, die mit ihren Arbeiten die deutsche Rezeption von Halbwachs und die Entstehung einer "Erinnerungsgeschichte" maßgeblich prägten, haben in diesem Sinne die räumliche Metapher immer wieder in ihren Arbeiten verwandt und auf die Entstehung sogenannter "Erinnerungslandschaften" oder "Erinnerungsräume" im Rahmen des "kulturellen Gedächtnisses" hingewiesen. Eine systematischere Behandlung der räumlichen Dimensionen der Erinnerung unterblieb hier jedoch ebenso wie in den meisten anderen Studien, die sich in den vergangenen Jahren mit der Geschichte der Erinnerung und des kollektiven Gedenkens beschäftigten und die meist bei einem sehr positivistischen Bild der "Erinnerungstopographie" stehen blieben. Die großen Forschungs- und Publikationsvorhaben der französischen Lieux de mémoire und der Deutschen Erinnerungsorte behandelten in diesem Sinne die räumliche Dimension der Erinnerung nur am Rande, da sie die "Nation" als geographischen Bezugsraum in den Vordergrund stellten. Zwar wird in beiden Werken auch die Bedeutung spezifischer regionaler und lokaler Erinnerungen herausgestellt, aber das Wechsel- und Zusammenspiel der verschiedenen räumlichen Einheiten wie auch die Zirkulation von Erinnerung zwischen den einzelnen regionalen und lokalen Kontexten blieb von Anfang an weitgehend außerhalb des Blickfelds von Herausgebern und Autoren. Das Werk von Étienne François und Hagen Schulze unternahm allerdings einen ersten Schritt über den engeren nationalen Rahmen hinaus, indem es auch bi- und multinationale "geteilte Erinnerungsorte" aufnahm und auf die wechselseitige Konstruktion nationaler Stereotypen und Erinnerungsorte verwies. Mochte die privilegierte nationalstaatliche Verortung der Erinnerungen für Westeuropa noch einigermaßen einleuchten, da hier - nimmt man einmal die aufgrund ihrer Komplexität gerne übersehenen Fälle von Ländern wie Belgien oder selbst Großbritannien aus - die nationalen Abgrenzungen trotz aller im Laufe der Jahrhunderte im Namen der Nation geführten Kriege und Auseinandersetzungen vergleichsweise verfestigt scheinen, zeigten sich im Falle Ost- und Südosteuropas schnell die Grenzen eines solchen einseitigen Blicks. Tatsächlich erwiesen sich hier die räumlichen Zuordnungen aufgrund des wechselvollen Verlaufs der Geschichte von Anfang an weit weniger eindeutig als im Westen. Es ist daher auch kein Wunder, dass die Notwendigkeit einer Ausweitung der Erinnerungsgeschichte hin auf eine transnationale Ebene und auf eine stärkere Berücksichtigung der räumlichen Dimensionen zuerst für diese Regionen in den Blick geriet. Demgegenüber hat es den Anschein, als ob die Versuche einer europäischen Ausweitung der Erinnerungsforschung bislang den Trend zu einer vordringlich nationalstaatlichen Verortung eher verstärkten als abschwächten, ging es doch bei der Suche nach den "Mythen der Nationen" und "Europäischen Erinnerungsorten" zunächst eher um die Sammlung der verschiedenen nationalen Perspektiven, um so etwas wie ein "normalisiertes" übergreifendes europäisches Erinnerungsgut zu bestimmen. Nicht weiter reflektiert wurde beispielsweise der angenommene Rahmen eines weitgehend christlichen Europas, der von Anfang an zwar Russland und - etwa in dem Projekt "1945 - Arena der Erinnerungen" - selbst die Vereinigten Staaten und Israel einbezog, die Türkei mit ihrer jahrhundertealten europäischen Geschichte jedoch ausschloss. Die Geschichte der europäischen Erinnerungen kann vor diesem Hintergrund unserer Auffassung nach nur von den Anstößen und Fraugenstellungen profitieren, die in den letzten Jahren in den Geschichts- und Kulturwissenschaften unter dem Schlagwort des spatial turn diskutiert wurden. Auch ohne den postmodernen Ballast mancher Pionierstudien ergeben sich tatsächlich aus einer ganzen Reihe von jüngeren Arbeiten wichtige Perspektiven, welche die Halbwachs'sche Frage nach den unterschiedlichen sozialen Rahmenbedingungen kollektiver Erinnerungen neu formulieren helfen. Dabei wird die von Anfang an für die Geschichtswissenschaft zentra…


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