Hafenstädte

Hafenstädte

Einband:
Paperback
EAN:
9783593388618
Untertitel:
Bremerhaven und Rostock im Wandel
Genre:
Stadt- & Regionalsoziologie
Autor:
Helmuth Berking, Jochen Schwenk
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 04.2011
Anzahl Seiten:
276
Erscheinungsdatum:
30.04.2011
ISBN:
978-3-593-38861-8

Interdisziplinäre Stadtforschung Herausgegeben vom Forschungsschwerpunkt»Stadtforschung« an der TU Darmstadt

Rostock und Bremerhaven sind zwei Städte, die über ihre Häfen mit der ganzen Welt vernetzt sind. Doch während es Rostock heute gelingt, sich als eine ebenso traditions- wie erfolgreiche Stadt in Szene zu setzen, herrscht in der Stadt an der Weser Krisenstimmung. Die Autoren dieses Buches analysieren und vergleichen die lokalen Besonderheiten und damit die »Eigenlogik « der beiden Hafenstädte in Ost und West. Sie weisen nach, dass die Selbst- und Fremdbilder der beiden Städte ebenso stark variieren wie die jeweiligen Versuche, Lösungen für auftretende Probleme zu finden.

Vorwort
Interdisziplinäre Stadtforschung Herausgegeben vom Forschungsschwerpunkt »Stadtforschung« an der TU Darmstadt

Autorentext
Helmuth Berking ist Professor für Soziologie an der TU Darmstadt, Jochen Schwenk ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter. Sebastian Friedel, Antje Steffens und Christina Stein sind Studierende an der TU Darmstadt.

Leseprobe
Ist von "Hafenstädten" die Rede, sind Bilder von Seefahrerromantik und käuflicher Liebe, von trinkfesten Männern und ewigen Abschieden schnell bei der Hand. Das "bunte Treiben" im Hafen bildete einst den Mittelpunkt des städtischen Lebens, färbte die Atmosphäre der Stadt, bestimmte ihre Klangform wie ihre Gerüche, ihren Rhythmus wie ihre Gerichte. Mit magischer Kraft und vermittelt durch Lieder und Texte, durch Tradition und Geschichte, durch Artefakte und steingewordene Arrangements hält sich ein kulturelles Stereotyp am Leben, das einmal in der Anschauung der physischen Präsenz von "wirklichen" Hafenstädten das Material fand, aus dem es als Denkbild hervorging. Als "Nostalgie für die Gegenwart" hat Frederic Jameson (1989) ein Wahrnehmungsschema charakterisiert, das den Betrachter in eine Welt zurückschauen lässt, in der er niemals zu Hause gewesen ist. Auch dem Bewohner und dem Besucher begegnet die Hafenstadt heute als nostalgische Gegenwart einer Vergangenheit, die sie nie verloren hat, was beides, die Sehnsucht und den Erlebnishunger nur umso heftiger anregt. Denn in der Regel haben die Häfen ihre Städte längst hinter sich gelassen, gehen Hafen und Stadt getrennte Wege. Zurück bleiben Brachen und Leerstellen im Zentrum der Stadt, Silos und Lagerhäuser, jene berüchtigten Hafenviertel, Kais und Docks, kurz, gewaltige, direkt von der früheren Hafenfunktion herrührende Infrastrukturen, die der Stadt ihre räumliche Gestalt gaben. Zurück bleiben freilich auch Images und Geschichten, Traditionen und kulturelle Dispositionen, die sich für die Entwicklung der "Hafenstadt ohne Hafen" nun zum Leitbild einer maritimen Kultur verdichten, das für die funktionslos gewordenen Infrastrukturen neue, eng an die maritime Vergangenheit anschließende Nutzungen vorsieht. Erst die Trennung von Hafen und Stadt, so scheint es, schafft den realen wie symbolischen Spielraum, die Stadt als "Hafenstadt" neu zu erfinden. Häfen, insbesondere Seehäfen, sind für den globalen Warenverkehr das, was die Global Cities für die Finanzmärkte sind: Logistik- und Distributionszentren, Knoten- und Kontrollpunkte des Güteraustausches. Dass über 90 Prozent des globalen Güterverkehrs durch die Handelsschifffahrt realisiert werden, lässt die geostrategische Bedeutung des Hafens anschaulich ins Relief treten. Nicht die Häfen, die heute als industrietechnische Großanlagen betrieben werden, sondern die Städte sind das Problem. Denn mit der sukzessiven räumlichen Separierung von Hafen und Stadt gehen radikale Formwandel einher. Der Hafen verliert seine urbane Struktur. Nun gilt, wie für jeden Industriebetrieb, auch hier: "Betreten verboten". Die Stadt aber verliert nicht nur den Kernbereich ihrer lokalen Ökonomie; die räumliche, auf den Hafen zentrierte Anlage der Stadt und ihre Infrastruktur werden selbst zur Herausforderung. Und mehr noch: auch jener für die Hafenstadt typische - weil auf die Vermittlung von lokalen städtischen Netzwerken und globalen Räumen bezogene - Sinnhorizont städtischer Kultur hält dem Strukturwandel von Hafen und Stadt nicht unbeschadet stand. Lässt sich angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch von "Hafenstadt" sprechen? Ist der distinkte Typus der Hafenstadt nicht längst historische Reminiszenz? Als Merkmale werden typischerweise genannt: die geographische Sonderstellung der Vermittlung zwischen Land und Meer, die räumliche, nicht nur auf Leuchttürme, Schleusen, Kais und Stapelplätze bezogene Gestalt der Stadt, die Dominanz von Handel, Verkehr und Logistik, die Ausbildung einer branchenspezifischen, auf das Meer bezogenen Berufsstruktur sowie die ihr korrespondierenden kulturellen Dispositionen. Stadtgestalt und Stadtkultur zeigen eine besondere Prägung. Das macht sie zur Hafenstadt. Städtetypologien sind Abstraktionen, symbolische Verdichtungen und gedankliche Steigerungen empirischer Phänomene, die ihrerseits auf ein Drittes verweisen und dessen Repräsentation zugleich rahmen. In diesem Buch aber geht es nicht, zumindest nicht vorrangig, um die Hafenstadt als Typus. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Beschreibung der singulären Beschaffenheit, die Analyse der individuellen Gestalt zweier Städte, die auch Hafenstädte sind oder es zumindest einmal waren. Wir wählen Bremerhaven und Rostock - zwei Hafenstädte, die bedeutende geostrategische Positionen in ihrer jeweiligen Region einnehmen und über den maritimen Verkehr buchstäblich mit der ganzen Welt vernetzt sind, zugleich aber auch entscheidende demographische und soziale Problemfelder teilen - als empirische Fallstudien, um nach der "Eigenlogik der Städte" (Berking/Löw 2008; 2005; Löw 2008) zu fragen. Die Orientierung auf die Eigenlogik der Städte hat weitreichende Implikationen. Sie nimmt das in der Alltagswelt so selbstverständliche Wissen, dass Hamburg nicht London, Rostock nicht Vilnius ist, sich Städte sowohl durch ihre geographische Lage wie in ihrer materialen Struktur und Anlage, in ihrer Geschichte, ihrer Lebensqualität und den Images, die sie hervorrufen, unterscheiden, beim Wort und lässt sich von der starken Annahme leiten, dass jede Stadt in dem Zusammenspiel von kulturellen Traditionen, materialer Umwelt und räumlicher Form, von Dispositionen und ästhetischen Codierungen die ihr und nur ihr eigene symbolische Ordnung hervorbringt. Die konzeptionelle Idee kann zunächst als kritischer Einwand gegen typische Perspektiven der Stadtforschung so pointiert werden: Es gilt, nicht länger und ausschließlich in den Städten gesellschaftliche Probleme zu erforschen, sondern die Städte selbst und diese im Unterschied zu jener Stadt zum Gegenstand der Analyse zu machen. Um das Rätsel der Städte zu lösen, bedarf es einer vorgängigen Verständigung darüber, was die "Stadt" als Objekt und Gegenstand des Wissens denn sei. "Stadt" wird als eine spezifische Vergesellschaftungsform, genauer: als raumstrukturelle Form der Organisation von Größe, Dichte und Heterogenität gefasst. Versteht man "Stadt" als räumliches Strukturprinzip, als Form, die Verdichtungsphänomene organisiert und reglementiert, ergeben sich gewichtige Konsequenzen gerade im Hinblick auf die typischen Strategien der Gegenstandskonstitution. "Stadt" ist dann nicht einfach Kommunikation, Interaktion, Lebensstil, Milieu, "Stadt" ist nicht "face to face", "Stadtteil", Identität, Wirtschaftszentrum oder Habitus etc. Alle inhaltlichen Zugriffe kommen hier zwangsläufig zu früh. Denn die lokalspezifischen Differenzen zwischen "Musikstadt" und "Bierstadt" etwa, sagen wir zwischen Wien und Dortmund, wären ihrerseits erst als Effekte der internen Differenzierungs- und Verdichtungsleistungen zu verstehen (Vgl. Berking 2008: 20). "Eigenlogik" markiert dann den für diese Stadt typischen Modus …


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