Diebe vor Gericht

Diebe vor Gericht

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783593387741
Untertitel:
Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert
Genre:
Neuzeit bis 1918
Autor:
Rebekka Habermas
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 09.2008
Anzahl Seiten:
412
Erscheinungsdatum:
30.09.2008
ISBN:
978-3-593-38774-1

Die Entstehung des modernen Rechts

Im 19. Jahrhundert wurden in Deutschland öffentliche Gerichtsverhandlungen und moderne Strafgesetzbücher eingeführt; beides sollte für mehr Gleichheit vor dem Gesetz sorgen. Wie kam es zu diesem großen Umbruch und wie verlief er im Einzelnen? Diesen Fragen geht Rebekka Habermas am Beispiel des Diebstahls nach, der die Justiz im 19. Jahrhundert mehr beschäftigte als jedes andere Delikt. Sie rekonstruiert nicht nur die Logiken der Rechtsreformer, sondern auch die Motive der Diebinnen und Diebe, die Arbeit der Gendarmen, die Beweissuche der Juristen sowie den Anteil der Kriminologen und Journalisten am Prozess der Rechtsfindung. So zeigt sie, dass das moderne Recht von vielen Akteuren gestaltet wurde bis hin zur Öffentlichkeit, die sich das Recht nahm, das Geschehen vor Gericht nach eigenen Maßstäben zu beurteilen.

»Eine bahnbrechende Studie [...] ... Ihre Ergebnisse stellen das Bild des Gerichtswesens, wie es die Justizreformer nach 1848 und große Teile der Forschung bis heute vertreten, vom Kopf auf die Füße.« Frankfurter Rundschau, 14.10.2008 »Eine Untersuchung, spannend wie ein Dutzend Krimis und dabei wissenschaftlich brillant« Der Tagesspiegel, 05.07.2009 »Nuanciert und plausibel« Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008

Vorwort
Die Entstehung des modernen Rechts

Autorentext
Rebekka Habermas (19592023) war Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Göttingen.

Leseprobe
Einleitung: Fragen über Diebe, Reformer, Juristen und andere Im Mai 1854 erstattete Maria Scherrer Anzeige gegen einen Tagelöhner namens Anton Zimmermann, der angeblich ihrem 13-jährigen Sohn und seinem achtjährigen Freund Brot und eine Kappe gestohlen haben sollte. Das Brot, insgesamt anderthalb Laibe, hatten die beiden Jungen ihrerseits erbettelt. 1857 wurden in Gelnhausen zwei Kinder, zwölf und 15 Jahre alt, beschuldigt, einen zehnjährigen Jungen, der voll gepackt mit Einkäufen durch den Wald nach Hause gegangen war, erst angebettelt und dann bedroht zu haben. Eines der Kinder soll auf den Jungen zugekommen sein und gesagt haben: "Ich will brod haben". Dabei sei es "nach ihm zugegangen, er habe erklärt, er habe kein brod. Hierauf habe das mädchen gesagt: nun dann nehmen wir die wecken." Wenige Jahre danach, genauer 1859, wurde der Dienstknecht Johannes Bernstein beschuldigt, einen Hut entwendet respektive mitgenommen zu haben, der herrenlos auf dem Holzplatz des Dorfes gelegen hatte. Dieser Hut war freilich keineswegs herrenlos, sondern von einem gewissen Brandeis, seines Zeichens Tagelöhner, dort vergessen worden. Wir sehen hier drei auf den ersten Blick harmlose Delikte. Schließlich geht es um Dinge von geringem materiellen Wert, es handelt sich um Konflikte unter Nachbarn und manches Mal weiß man gar nicht so recht, ob es sich um Versehen, Vergesslichkeiten oder schlicht um Missverständnisse handelt. Und doch sind es Geschichten, die vor Gericht erzählt wurden und die jedes Mal in den Vorwurf des Diebstahls mündeten und zu rechtskräftigen Verurteilungen führten. Denn in den Augen der Zeitgenossen und Zeitgenossinnen war Diebstahl keineswegs eine belanglose oder gar harmlose Angelegenheit. Er war vielmehr ein Delikt, das nicht nur bei den Opfern, sondern auch bei Juristen, Kriminologen sowie Literaten und Journalisten große Aufmerksamkeit erregte. Das Interesse von Juristen, Kriminologen, Literaten und Journalisten Juristen verwendeten auf diese Straftaten beachtliche Energien, recherchierten mit nicht nachlassender Akribie und legten eine außergewöhnliche Ausdauer in der Verfolgung kleiner und kleinster Hinweise an den Tag. Nie zuvor scheint die Notwendigkeit, derart ausführlich zu beschreiben, was ein Diebstahl ist und wer darin welche Rolle spielt, so groß gewesen zu sein. Dieses massive Interesse an Eigentumsdelikten ist umso auffallender, als es sich in der Regel um relativ wertlose Gegenstände handelte. Weder die Kappe noch das, überdies erbettelte, Brot waren wertvoll. Auch bei der Mehrzahl anderer Diebstähle drehte es sich um Gegenstände von geringem materiellen Wert: um Socken, Hemden, Hüte, Brot, Gemüse oder Gebrauchsgegenstände wie beispielsweise Töpfe, die die Staatsbehörden intensiv beschäftigten. Die überwiegende Mehrzahl der Diebstähle im 19. Jahrhundert betraf solche kleinen Diebstähle, das heißt solche, in denen relativ wertlose Dinge entwendet wurden. Dennoch gingen ganze Heerscharen von Juristen der Frage nach, wem was gehörte und wie der gestohlene Gegenstand beschaffen war. Ober- und Unterstaatsprokuratoren - Vorläufer des Staatsanwaltes -, Richter, Verteidiger, Referendare und selbst Professoren der Jurisprudenz befassten sich in einer Intensität mit diesem Delikt, die man im 18. Jahrhundert genauso vergeblich sucht wie im 20. Jahrhundert. Doch nicht nur Juristen interessierten sich im 19. Jahrhundert für Eigentumsdelinquenz. Es entstand eine eigene Wissenschaft, die sich zwar nicht ausschließlich, aber auffallend häufig mit Eigentumsdelinquenten beschäftigte: Spätestens mit Lombrosos 1876 erschienenem Werk "L'Uomo delinquente" nahm auch in Deutschland die Kriminologie Gestalt an. Sie erforschte besonders den so genannten Gewohnheitsverbrecher - und dieser war meist ein Dieb. Die Kriminologen wollten genau wissen, wer die Diebe waren, wo sie herkamen und wie sie aussahen. Es entstand eine Wissenschaft, die sich mit präzisen Messinstrumenten an die genaue Erforschung von Nase, Mund, Stirn und Augenstellung des Verbrechers machte und ihn so genau kartographierte, wie zuvor nur Landschaften erfasst worden waren. Auch die Literatur machte Diebstahl zu einem Thema. Erinnert sei an Friedrich Schillers "Verbrecher aus verlorener Ehre" oder an Wilhelm Raabes "Horacker". Ja, es lässt sich im 19. Jahrhundert eine bis dahin einzigartige Vermehrung von Kriminellen auf dem wachsenden literarischen Markt beobachten. Neue Gattungen des Kriminellen entstanden und fanden ihr Publikum: Eugene François Vidoque publizierte seine abenteuerlichen Kriminalgeschichten, die schnell ins Deutsche übertragen wurden. Ernst Dronke verfasste als einer der Ersten so genannte Polizeigeschichten, in denen teilweise ganze Verhöre abgedruckt wurden. Auch in den Kriminal- und Richtergeschichten des Literaten und liberalen Juristen Temme wimmelte es nur so von Dieben. Dann wurden erste Kriminalnovellen, häufig als Fortsetzungsgeschichten, in auflagenstarken Blättern wie der "Gartenlaube" abgedruckt. Schließlich entstand im 19. Jahrhundert das literarische Genre des Kriminellen par excellence, der Kriminalroman, der - wie bei Sherlock Holmes zu beobachten - die detektivische Arbeit, den Akt des Entdeckens und damit den Detektiv und weniger den Verbrecher in den Mittelpunkt rückte. All diese Geschichten fanden ihr Publikum, mehr noch: Dieses neue Genre war überaus erfolgreich, wie folgender Kommentar zur Situation in Frankreich von Paul Féval aus dem Jahre 1866 zeigt: "Das Verbrechen hat Konjunktur, es verkauft sich [] Frankreich zählt eins bis zwei Millionen Konsumenten, die wollen nichts anderes vorgesetzt bekommen als Verbrechen, wenn möglich, gut durchgegart." Zu erwähnen ist überdies das innerhalb der bürgerlichen Leserschaft des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich beliebteste und heute häufig übersehene Genre, die Reisebeschreibung, in der sich ebenfalls zuhauf Diebe finden, besonders wenn die Reise durch unwirtliche Gegenden führte. Im Kaukasus etwa fand man wahre "Meister in der Raubkunst". Indianer galten als "raublustig" und in Texas, so der Autor eines Reiseberichtes, ginge man des Abends nicht ohne Dolch los, weil es so viele Diebe gäbe. Als dann gegen Mitte des Jahrhunderts der Räuber zu einer der zentralen Figuren der Kinderbuchliteratur wurde, war er auch in bürgerlichen Kinderzimmern omnipräsent. Zu guter Letzt sei auf eine vierte Gruppe hingewiesen, die ungefähr zur selben Z…


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