Märtyrer des Sozialismus

Märtyrer des Sozialismus

Einband:
Paperback
EAN:
9783593387475
Untertitel:
Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Barbara Könczöl
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 10.2008
Anzahl Seiten:
361
Erscheinungsdatum:
31.10.2008
ISBN:
978-3-593-38747-5

Aktuelle Studien zur Zeitgeschichte

Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden in der DDR mit einem jährlichen Gedenktag, mit Denkmälern, Biografien und Filmen als Märtyrer geehrt. Die SED präsentierte sich dabei als ihre direkte Erbin. In scharfsinnigen Analysen von SED-Publikationen, der Liebknecht-, aber auch der Thälmann- Filme sowie der Gedenkstätte des Sozialismus zeigt Barbara Könczöl die Konstruktion eines Mythos, der für die Identität der SED und der DDR zentral war.

Vorwort
Aktuelle Studien zur Zeitgeschichte

Autorentext
Barbara Könczöl, Dr. des. phil., promovierte an der Universität Leipzig und ist DAAD-Lecturer für Geschichte an der Cambridge University.

Leseprobe
Schlussbemerkung "Karl und Rosa ziehen nicht mehr", so überschrieb die "tageszeitung" doppeldeutig ihren Bericht über das Liebknecht-Luxemburg-Gedenken im Januar 2005. "Karl und Rosa ziehen nicht mehr", das musste auch die SED zum Ende ihrer Herrschaft erfahren. Der Gründungsmythos der Partei war inhaltsleer geworden und das mit ihm verbundene innerweltliche Erlösungsversprechen hatte seine Wirkungskraft eingebüßt. Und dennoch, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verschwanden im Gegensatz zu Ernst Thälmann nicht sang- und klanglos in der Mottenkiste ausgemusterter politischer Ikonen. Ziel dieses Buches war es, die Rolle, welche die beiden Märtyrer im legitimatorischen Entwurf der SED innehatten, zu bestimmen. Fasst man die Ergebnisse zusammen, so zeigt sich, dass der mit dem Liebknecht-Luxemburg-Gedenken verbundene konstitutive Mythos der Partei keineswegs ein einfacher Additionsmythos zum Antifaschismus war. Die SED-Führung hatte vielmehr den mobilisierenden Ursprungsmythos der KPD in ein affirmatives, macht- und herrschaftsfundierendes Narrativ verwandelt. Als Gründer der Partei, als Vorkämpfer und Märtyrer einer sozialistischen Revolution in Deutschland hatten Luxemburg und Liebknecht ihren festen Platz im Pantheon der SED. Im Zentrum der Verehrung standen allerdings weniger die beiden Parteiahnen als herausragende Individuen als vielmehr die "Organisation als Held" (Breuer) - die Partei, die sich als die rechtmäßige Erbin und Vermächtniserfüllerin von Luxemburg und Liebknecht präsentierte. Die Sakralisierung der Märtyrer diente der Partei als Instrument, sich selbst zu sakralisieren. Durch das Gedenken an Luxemburg und Liebknecht verband sie einen entwicklungsgeschichtlichen Entwurf mit einer Heilsgeschichte, so dass aus der historischen Mission der Arbeiterklasse die historische Mission der SED wurde. Unter Berufung auf die revolutionären Märtyrer erfand sich die SED eine Tradition des revolutionären Kampfes der deutschen Kommunisten, in die sie sowohl die Kämpfe der deutschen Linken und das revolutionäre Selbstopfer Luxemburgs und Liebknechts einreihte als auch den antifaschistischen Kampf und Thälmanns Märtyrertod. An das Ende dieser Entwicklung setzte sie sich selbst. Sie präsentierte sich so als die Partei, die mit Hilfe des wissenschaftlichen Instrumentariums des Marxismus-Leninismus die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen hatte und daher als Avantgarde für sich in Anspruch nehmen konnte, die historische Mission zu erfüllen. Sie stellte sich also als auf der höchsten Entwicklungsstufe des deutschen Kommunismus stehende Partei dar, deren Bestimmung es war, das Vermächtnis der Märtyrer zu verwirklichen und ein sozialistisches Deutschland aufzubauen. Dies wurde gebetsmühlenartig in Reden zum Jahrestag der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht und anderen offiziellen Anlässen wiederholt. Doch damit nicht genug, die SED hatte in der Gedenkstätte der Sozialisten ihren Traditionsentwurf in Stein verewigen lassen und die Parteiführung reaktualisierte und legitimierte alljährlich auf der Kampfdemonstration nach Berlin-Friedrichsfelde ihren Führungsanspruch. Hier inthronisierte sie sich als die legitime Erbin der Märtyrer. Die historische Mission der deutschen Arbeiterklasse, geführt von ihrer marxistisch-leninistischen Kampfpartei, bildete also das heilsgeschichtliche Meta-Narrativ, in das sich sowohl der Kampf der deutschen Linken gegen Militarismus und Imperialismus, als auch der antifaschistische Kampf einordnen ließen. Dies war jedoch mehr als nur die legitimatorische Rechtfertigung der Herrschaft der SED. Heilsgewissheit und Geschichtsphilosophie griffen ineinander und schufen eine Voraussetzung dafür, den Glauben an die Legitimität der Herrschaft der Partei - vor allem im Hinblick auf die Kader der SED - mit einer vorreflexiven und mentalitätsverbürgenden Grundlage politischer und kultureller Selbstverständlichkeit auszustatten. Eine besondere Leistung dieser narrativen Konstruktion kann darin gesehen werden, dass sie darauf ausgelegt war, die Niederlagen des deutschen Kommunismus in eine Erfolgsgeschichte umzuformulieren, die Diskontinuitäten und Misserfolge in einer Teleologie auflöste, die so ohne Brüche in einer direkten Kontinuitätslinie verlaufen konnte. Dieser Entwurf und vor allem das zentrale Motiv des Kampfes enthielten eine manichäische Weltsicht, die Freund und Feind, Gut und Böse voneinander trennte. Die Feindbilder bezogen sich ebenso auf äußere wie auf innere Feinde, beide stellten zentrale Momente in der Erzählung vom Mord an Luxemburg und Liebknecht dar: "Luxemburgismus" und "Sozialdemokratismus" im Inneren ließ die Parteiführung ebenso verdammen und bekämpfen, wie sie Politiker der Bundesrepublik mit den Mördern und Drahtziehern des Mordes an den beiden Parteiführern gleichgesetzte. Die Definition der eigenen, alternativlosen politischen Zielsetzung war nicht ohne die Abgrenzung vom politischen Gegner zu denken. Doch die SED-Führung setzte die Freund-Feind-Konstruktion nicht nur bewusst propagandistisch ein, letztere spiegelte vielmehr die Weltsicht und Ordnungsvorstellungen wider, in der viele der Spitzenfunktionäre der SED sozialisiert worden waren. Die marxistische Vorstellung vom Klassenkampf hatte sich mit der Erinnerung an den Mord an Luxemburg und Liebknecht, der Erfahrung des Kampfes der deutschen Kommunisten in der Weimarer Republik sowie jener der Verfolgung und des Widerstands in der Zeit des Nationalsozialismus vermischt und so das manichäische Weltbild in ihre Köpfe eingeschrieben. Dies trug in Verbindung mit der Ideologie des Marxismus-Leninismus und dem darin enthaltenen Prinzip der Parteilichkeit zur strikten Unterwerfung unter die Parteidisziplin bei; es galten das "Diktat des Konsenses" (Sabrow) und die Ansicht, dass jede Form von öffentlich geäußertem Dissens auf feindliche Aktivitäten zurückzuführen sei. Die Mythenproduzenten blieben der Vorstellungswelt und dem Ordnungsentwurf, den diese Mythen aussprachen, verhaftet. Die Mythisierung immunisierte auf diese Weise auch gegen Selbstreflexion und trug so zur Reformunfähigkeit des Systems bei. Öffentlich außerhalb des engen Rahmens der Parteigremien vorgetragene Kritik konnte in dieser manichäischen Weltsicht nichts anderes sein als ein feindseliger Akt, spielte sie doch direkt dem Klassengegner in die Hände oder war bereits von diesem initiiert; an einen Dialog mit Kritikern oder gar Dissidenten war nicht zu denken. Die Partei fundamental zu kritisieren, hätte insbesondere für die kommunistischen Veteranen, die schon vor 1945 in der kommunistischen Bewegung sozialisiert worden waren und aus deren Reihen sich die politische Führungsriege der SED rekrutierte, bedeutet, das eigene Wertsystem, ja die gesamte eigene Biographie in Frage zu stellen. Catherine Epstein spricht in diesem Zusammenhang davon, dass diese kommunistischen Veteranen, deren Wert- und Ordnungsvorstellungen das politische System der DDR nachhaltig prägten, in ihrem antifaschistischen Weltbild gefangen waren. Sicherlich waren Verfolgung und Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus ebenso wie der Sieg der Roten Arme einschneidende Erlebnisse, doch die manichäische Weltsich…


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