Die Konsumgesellschaft in Deutschland 18901990

Die Konsumgesellschaft in Deutschland 18901990

Einband:
Paperback
EAN:
9783593387376
Untertitel:
Ein Handbuch
Genre:
Geschichts-Lexika
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 04.2009
Anzahl Seiten:
504
Erscheinungsdatum:
30.04.2009
ISBN:
978-3-593-38737-6

Handbuch zur deutschen Konsumgeschichte

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Konsum in Deutschland zum zentralen gesellschaftlichen Phänomen. Er verwandelte die wirtschaftliche Infrastruktur von der Ernährung bis zur Freizeit und war ein Mittel sozialer Distinktion und Gegenstand politischer Regulierung. Mit Recht lässt sich daher von einer deutschen Konsumgesellschaft sprechen. Ihre Entstehung und Ausformung werden in diesem Handbuch entlang der Bereiche Wirtschaft, Politik, soziale Lagen und Identitäten sowie Kultur und Wissenschaft erstmals umfassend dargestellt ein unverzichtbares Grundlagenwerk für Studium, Forschung und Lehre. Mit Artikeln von Hartmut Berghoff, Peter Borscheid, Gunilla Budde, Erica Carter, Belinda Davis, Pascal Eitler, Rainer Gries, Wolfgang König, Kaspar Maase, Ina Merkel, Maren Möhring, Daniela Münkel, Christoph Nonn, Michael Prinz, Roman Rossfeld, Adelheid von Saldern, Axel Schildt, Dominik Schrage, Alexander Schug, Hasso Spode, Jakob Tanner, Ulrike Thoms und Michael Wildt.

Vorwort
Handbuch zur deutschen Konsumgeschichte

Autorentext
Heinz-Gerhard Haupt ist Leiter der Abteilung History and Civilization am Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Claudius Torp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld.

Leseprobe
Einleitung: Die vielen Wege der deutschen Konsumgesellschaft Claudius Torp, Heinz Gerhard Haupt I. In ihren neueren historischen Gesamtdarstellungen oszilliert die deutsche - wie auch die europäische - Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen den Polen von Krieg und Konsum, zwischen Perioden des Mangels und der exzessiven Gewaltausbrüche einerseits und solchen des Wohlstands und Friedens andererseits. Die Gebrochenheit der Moderne ist hier zu Recht zum Leitmotiv geworden, ohne dass diese Diagnose sich zu einer weiteren Meistererzählung verdichten würde, wie sie der "lange Weg nach Westen" oder der "deutsche Sonderweg" darstellten. So wenig tragfähig sich die großen Narrative letztlich erwiesen haben, so unbefriedigend bliebe aber eine Geschichtsschreibung, die sich mit dem bloßen Faktum der Extreme und Ambivalenzen begnügen würde. Eine Gesellschaftsgeschichte, welche die Interdependenz gesellschaftlicher Teilbereiche in den Mittelpunkt stellt, ohne dabei nach Art der Modernisierungstheorie vom Primat wirtschaftlicher und politischer Prozesse oder von einer linearen Entwicklung auszugehen, ist heute einer der wenigen Kandidaten, die Zugänge zum Verständnis der unüberschaubar pluralen Geschichte des 20. Jahrhunderts eröffnen. Zugleich wird die Gesellschaftsgeschichte aber von ihrem Gegenstand, der funktional differenzierten Gesellschaft und ihren komplexen Selbstbeschreibungen, notgedrungen überfordert. Allein die Krisen und Konjunkturen der wirtschaftlichen Entwicklung, die sich verändernden sozialen Lagen und Identitäten, die Myriaden kultureller Ausdrucksformen und, gerade in Deutschland, das breite Spektrum der politischen Regime machen es unmöglich, das "Ganze" der Gesellschaft in einer systematischen Ordnung zu erfassen. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma - das Bedürfnis nach Zusammenhangserkenntnis wächst, während die Chance auf seine Befriedigung schwindet - besteht darin, die Gesellschaftsgeschichte durch eine perspektivische Ausrichtung anzureichern und dadurch handhabbar zu machen. Zu diesem Zweck müssen Fragestellungen entwickelt und Themenfelder benannt werden, die eine synthetisierende Betrachtung des 20. Jahrhunderts erlauben, ohne seine Diskontinuitäten einzuebnen. Teleologisch angelegte Entwicklungsbegriffe wie Demokratisierung, Individualisierung oder Säkularisierung erscheinen hierfür wenig geeignet. Aussichtsreicher ist es, Kontinuität und Wandel in subjektformierenden Praxisfeldern wie beispielsweise Gewalt, Wissen, Konsum oder Arbeit zu untersuchen oder Relationsanalysen anzustellen, die etwa nach dem Verhältnis von Nationalem und Transnationalem oder von Privatheit und Öffentlichkeit fragen. Der Konsum ist einer jener Bereiche mit Synthesepotential, der sich einer rein sektoralen Betrachtung entzieht, ist er doch ein Phänomen, das die verschiedenen Dimensionen sozialer Wirklichkeit durchdringt: Konsum beruht erstens auf Produktionsleistungen und ist selbst eine wirtschaftliche Praxis; zweitens fungiert er als ein Mittel von Identitätsbildung und Distinktion; drittens wird er immer wieder zum Gegenstand politischer Debatten und Interventionen; viertens ist er nach kulturellen Leitbildern gerichtet, die nicht selten von transnationalen Transferprozessen beeinflusst werden; und fünftens ist er, verstärkt seit Ende des 19. Jahrhunderts, zum Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung geworden. Die Multidimensionalität des Konsums ist der Ausgangspunkt dafür, die deutsche Gesellschaft unter dieser zentralen Perspektive als Konsumgesellschaft, zu beschreiben, und zwar über die ganze Dauer eines in dieser Hinsicht "langen" 20. Jahrhunderts, dessen konsumgesellschaftliche Bedingungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Gestalt annahmen und bis heute Bestand haben. Wenn die jüngste Vergangenheit nach 1990 weitgehend ausgespart bleibt, dann nur, weil Historiker in zeitlicher Nähe chronisch "unscharf" sehen. Jenseits der strukturellen Kontinuitäten waren aber die konkreten Züge und Ausprägungen der Konsumgesellschaft häufiger Veränderung unterworfen: Die Konstellationen, in denen die jeweils dominierenden Produktions- und Distributionsweisen, die kulturellen Triebkräfte und politischen Regulierungsformen sowie das Auf und Ab sozialer Gruppen qua Konsum zusammentrafen, gilt es zu untersuchen, wenn es darum geht, der Bedeutung konsumgesellschaftlicher Phänomene in der deutschen Geschichte auf die Spur zu kommen. Die Verwendung des Begriffs der Konsumgesellschaft für das ganze 20. Jahrhundert mag insofern verwundern, als wir gewohnt sind, ihn für die Zeit zu reservieren, die in Westdeutschland erst mit den späten fünfziger Jahren begann. Diese restriktive Begriffsbestimmung erklärt sich zweifellos aus der überwältigenden Erfahrung des während der "Trente Glorieuses" sprunghaft gestiegenen materiellen Lebensstandards für sämtliche Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Mit dem nie dagewesenen Gewinn an Freizeit- und Konsummöglichkeiten war auch die Herausbildung eines bestimmten Konsumententypus verbunden, der im Bewusstsein seiner Wahlfreiheit handelt und dabei von politischen Erwartungen oder Vorschriften weitgehend entlastet ist. Die massenhafte Erfahrung eines über den Markt vermittelten Wohlstands verlangte gewissermaßen danach, auf den Begriff gebracht zu werden, ob in kritischer Absicht wie überwiegend in den sechziger und siebziger Jahren oder neutral bis affirmativ, wie dies in den vergangenen beiden Jahrzehnten üblich wurde. Gegen die ausschließliche Identifizierung von "Konsumgesellschaft" mit den Nachkriegserscheinungen von Überfluss und Konsumentensouveränität müssen gleichwohl Einwände erhoben werden. Zunächst isoliert sich ein solcher Wortgebrauch von der internationalen Konsumforschung, die zum Teil die "Geburt" der Konsumgesellschaft bereits ins England des 18. Jahrhunderts, ihre Anfänge gar in die Niederlande des 17. Jahrhunderts und die italienische Renaissance verlegt. Eine derart weitgespannte Genealogie mag für den deutschen Kontext unbrauchbar sein, warum aber das hochindustrialisierte späte Kaiserreich bisher noch nicht konsequenter - und die vorhandene Forschung zusammenführend - auf seine konsumbezogenen Elemente hin analysiert worden ist, bleibt unverständlich. Vieles spricht dafür, dass sich in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende die strukturellen Bedingungen einer modernen Konsumgesellschaft endgültig etablierten - das zeigt schon ein kursorischer Blick in die wilhelminische Gesellschaft: Die Selbstversorgung ging zurück, je weiter sich Urbanisierung und Lohnarbeit ausbreiteten. Der Distribu…


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