Körpermitte

Körpermitte

Einband:
Paperback
EAN:
9783593387338
Untertitel:
Eine Kulturgeschichte des Bauches seit der Frühen Neuzeit
Genre:
Kulturgeschichte
Autor:
Tina Ebbing
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 11.2008
Anzahl Seiten:
452
Erscheinungsdatum:
30.11.2008
ISBN:
978-3-593-38733-8

Das komische Gefühl im Bauch, der »Nabel« der Welt oder der Waschbrettbauch unsere Bilder vom Bauch sind in höchstem Maße kulturell geprägt und damit zugleich Ausdruck von Normen, Werten und Weltbildern. Tina Ebbing schildert Körperbilder und -praktiken seit der Frühen Neuzeit, wie sie in Alltags- und Populärkultur präsent waren und sind. Zur Sprache bringt sie das Verhältnis von Kopf und Bauch; sie beschäftigt sich aber auch mit sagenhaften Geschichten, die sich um Fastenwunder und Vielfraße ranken.

Autorentext
Tina Ebbing, Dr. phil., studierte Volkskunde/ Europ. Ethnologie sowie nordische und deutsche Philologie an der Universität Münster

Leseprobe
I. Die Kosmologie des Bauches Für Immerschlaf aus dem Märchen Der Hauptmann Felsenschneider und seine Gefährten regiert der Bauch die Welt: "Hm! sagte er, was habt Ihr denn? Aller Spektakel in der Welt, und alles Treiben, Rennen, Laufen, Raßeln und Praßeln kommen ja von Magen und Bauch her." Entsprechend lautet eines der Sprichwörter mit Bezug auf den Bauch, die Sebastian Franck in seiner Sammlung von 1541 aufführt, "Es geschicht alles von des bauchs wegen/was die gantz welt redt und thut." Die den genannten Aussprüchen innewohnende Auffassung vom Bauch als Keimzelle allen Weltgeschehens ließe sich mit zahlreichen weiteren Zitaten belegen. Sie verweist auf ein Beziehungsgeflecht, das zwischen diesem Körperteil und seinem unmittelbaren wie mittelbaren Umfeld besteht: Wie verhält er sich zum restlichen Körper des Menschen? Wie zur Welt, welche diesen umgibt? Und wie schließlich zum gesamten Kosmos? Solche Fragen nach übergeordneten Zusammenhängen um den Bauch stehen im Zentrum des ersten Kapitels. Es soll zunächst vor dem Hintergrund der Problematik von Fragmentierung und Ganzheitlichkeit des Körpers seine Abgrenzung vom restlichen Körper sowie seine Position und Funktion als Körperteil näher bestimmen. Anschließend gilt es, die Grenze des Körpers zu überschreiten und den Bauch mit Hilfe von Michail Bachtins Körperkonzept in Beziehung zur Außenwelt zu setzen. Signaturenlehre sowie astrologische Welt- und Körperbilder verknüpfen schließlich den Bauch mit dem Kosmos. 1. Der Bauch des Körpers Gliedern und Zusammensetzen Bereits wenn sie ihren Gegenstand definieren will, stößt eine volkskundliche Arbeit über den Bauch des Essers auf das Grundproblem von Ganzheitlichkeit und Fragmentierbarkeit des Körpers. Abgesehen davon, dass es einer kulturwissenschaftlichen Untersuchung ohnehin nicht möglich ist, den Bauch isoliert vom ganzen Menschen und seinem Umfeld zu betrachten, muss sie berücksichtigen, dass es sich bei ihm nicht um ein einziges Körperteil handelt, sondern um eine Körperregion, die ihrerseits Organe mit eigenen Funktionen und kulturellen Bedeutungen enthält. Und auch das Ausklammern des Fortpflanzungsaspektes bedeutet eine Grenzziehung, die den weiblichen Bauch um eine entscheidende Komponente reduziert, an die er viele doch zuerst denken lässt. Der menschliche Bauch lässt sich auf unterschiedliche Weisen "definieren", sowohl im Hinblick auf seine äußere Erscheinung als auch insbesondere in Bezug auf sein Inneres, doch stellt sich - nicht nur - die Volkskunde bei der Beschäftigung mit Körperteilen generell die Frage nach deren "Abtrennbarkeit". Sowohl Utz Jeggle als auch Rudolf Schenda stellten ihren volkskundlichen Betrachtungen eine Diskussion dieses Problems voran. Jeggle fragte in seiner "volkskundlichen Anatomie" über den Kopf Mitte der 1980er Jahre noch vorsichtig nach der Legitimation einer Zergliederung des Körpers: "Auch der Volkskundler scheut die Sektion. Ist sie denn nötig, wird dadurch neue Erkenntnis gewonnen, wie beim anatomischen Zugriff?" Für Jeggle setzte die Betrachtung des isolierten Körperteils auch im "volkskundlichen Sezieren" Leblosigkeit voraus, so wie das anatomische an toten Körpern vorgenommen wird und ab- oder herausgetrennte Körperteile nicht nur mit Schrecken verbunden, sondern, da das funktionelle Ganze des Körpers zerstörend, auch tödlich sind. Dennoch rechtfertigte er das kulturwissenschaftliche Zerlegen damit, dass es die Voraussetzung für neue Zusammensetzungen schaffe. Die Einordnung in andere Zusammenhänge ist es also, die neue Erkenntnisse verspricht und die Verletzung der Unversehrtheit des Körpers legitimiert. Ein wenig pragmatischer ging Rudolf Schenda das Problem gut zehn Jahre später an, als die Körperteilforschung auch in anderen kultur- oder geisteswissenschaftlichen Disziplinen und in wissenschaftsjournalistischen Publikationen bereits zunehmendes Interesse erfuhr und die isolierte Betrachtung einzelner Körperteile als selbstverständlicher erscheinen ließ. Ohne die "zumeist zutreffende Wahrheit, Leib, Geist und Seele des Menschen bildeten eine Einheit, und der Körper zumal sei ein schönes und großes Ganzes [] in Abrede" stellen zu wollen, konstatierte er "berechtigte Zweifel an der absoluten Gültigkeit dieser Vorstellung". Gerade die alltägliche Körpererfahrung, in der man Schmerzen nur in einem bestimmten Teil des Körpers wahrnehme, und der medizinische Alltag, in welchem Patienten eher über den beschädigten Körperteil denn als Ganzheit wahrgenommen würden, zeugten eher von der Desintegration des Körpers als von einer Ganzheitlichkeit. Die Vorstellung von letzterer, die nach Schenda im Übrigen leicht in politische Ideologien führt, falle daher in den Bereich der Philosophie, während die Volkskunde als Wissenschaft vom Alltag sich dem Körper widmet, wie der Mensch ihn konkret erlebt, wahrnimmt und darstellt. So schlug Schenda vor, sich "zunächst einmal Klarheit [] über die Wechselfälle von Arm und Bein und Lunge und Leber [zu verschaffen], bevor wir über den Adel unseres Leibes philosophieren". In Michail Bachtins Terminologie vertritt Jeggle mit dem Unbehagen an der Isolierung des Körperteils das Konzept des ganzen und abgeschlossenen Körpers, während Schenda den "grotesken", desintegrierten Körper in den Vordergrund stellt und daraus die entsprechenden methodischen Forderungen ableitet. Dass beide letztlich zu dem gleichen Ergebnis kommen, nämlich der Legitimität der Betrachtung einzelner Körperteile, entspricht der von Schenda angedeuteten Tatsache, dass der Körper nun einmal in Unterteilungen gedacht wird. So rechtfertigt bereits die Rede vom Bauch, das Wort "Bauch" als Bezeichnung für einen bestimmten Teil des Körpers, seine "isolierte" Betrachtung gerade durch die Kulturwissenschaft, denn die Unterteilung des Körpers ist - wie auch Jeggle oder Benthien/Wulf anmerken - kulturell bedingt, der Bauch mithin auch ein kulturelles Konstrukt. Auch für ihn gilt, dass er "nie natürliches Objekt, sondern bis in die Frage hinein, wo seine Grenzen liegen, ein beschriebenes" ist. Als solches geht er aus den Prinzipien einer topographischen Anatomie oder Betrachtung hervor, welche den Körper in zusammenhängende Regionen unterteilt. Als gängig erweist sich die grobe Unterteilung des Körpers in die Gegenden oder Bereiche des Kopfes, des Rumpfes und der Gliedmaßen, was der mittelalterlichen Anatomie nach Mondino dei Luzzi folgt, die "Bauchhöhle, Kopf, Extremitäten" unterschied, nur dass statt der "Bauchhöhle" von dem aus Brust und Bauch bestehenden "Rumpf" gesprochen wird. Im Gegensatz zur topographischen Anschauung nehmen andere Ansätze den Körper nicht als Zusammensetzung aus mehreren Regionen sondern beispielsweise aus unterschiedlichen "Substanzen" wahr. So beginnt Johan Helfrich Jünckens Leib=Artzt von 1699 mit der Trennung des menschlichen Leibes in flüssige und feste "theile", die "nach sonderbarer proportion zusammen gefüget []" eine "machina" bilden, und ihrerseits in verschiedenen Formen und Zusammensetzungen in Erscheinung treten. Aus dieser Perspektive einer systematischen Anatomie, wie sie im Mittelalter un…


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