Biografie, Bildung und Institution

Biografie, Bildung und Institution

Einband:
Paperback
EAN:
9783593386041
Untertitel:
Die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten in der DDR
Genre:
Arbeits-, Wirtschafts- & Industriesoziologie
Autor:
Ingrid Miethe, Martina Schiebel
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 06.2008
Anzahl Seiten:
364
Erscheinungsdatum:
30.06.2008
ISBN:
978-3-593-38604-1

Biographie- und Lebensweltforschung

Die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten waren Bildungseinrichtungen der frühen DDR. In dieser Studie wird am Beispiel der ABF Greifswald eine biografische Institutionenanalyse durchgeführt. Gezeigt wird, wie sich beim Lehrpersonal biografischer Eigensinn und institutionelle Eigenlogik wechselseitig bedingten und veränderten. Der Wunsch, eine systemloyale Elite heranzubilden, stieß nicht zuletzt an Grenzen in den Menschen selbst.

Vorwort
Biographie- und Lebensweltforschung

Autorentext
Ingrid Miethe ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der EFH Darmstadt. Martina Schiebel, Dr. disc. pol., arbeitet derzeit in Bremen an ihrer Habilitation zum Thema »Konstitutionsbedingungen politischer Biografien«.

Leseprobe
Die Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF) sind nicht zuletzt durch den bekannten Roman von Hermann Kant (1965) "Die Aula" tief im kollektiven Gedächtnis - nicht nur der ostdeutschen - Bevölkerung implementiert. Dieser autobiografisch geprägte Roman beschreibt den ersten Jahrgang Studierender der ABF Greifswald, die wie Kant den Direktor der ABF in seinem Roman sagen lässt, "zum Sturm auf eine Feste angetreten seien, eine Feste, bewehrt mit Hochmut, Vorurteilen, Angst um bedrohte Privilegien, Aberglauben und Klassendünkel" (Kant 1965: 70). Ungeachtet derartiger heroischer Worte sind die von 1949 bis 1962/631 existierenden ABF, wie auch deren Vorläufereinrichtungen, die 1945/46 auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) entstandenen Vorstudienabteilungen (VA), ein wichtiger Teil der ostdeutschen Bildungs- und Hochschulgeschichte (Miethe 2006a). Die ABF können als Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges verstanden werden, die das Ziel hatten, Arbeiter und Bauern - oder allgemeiner gesagt: jungen Menschen aus Elternhäusern, in denen keine Tradition einer akademischen Bildung bestand - das Ablegen des Abiturs zu ermöglichen, um ihnen so den Zugang zu einem Hochschulstudium zu eröffnen. ABF gab es an allen Universitäten und Hochschulen der DDR.2 An den meisten ABF wurde ein allgemein bildendes Abitur abgelegt, das zum Studium in allen Fachrichtungen berechtigte.3 Im Zeitraum von 1946 bis 1962 haben etwa 35.000 Absolvent- (inn)en in diesen Einrichtungen das Abitur abgelegt.4 In diesem Sinne sind diese Einrichtungen durchaus als bildungspolitisches Großexperiment zur Herstellung von Chancengleichheit zu verstehen, denn es gab in der deutschen Bildungsgeschichte bis zu diesem Zeitpunkt keine vergleichbare Förderung einer bildungsfernen Klientel (vgl. Miethe 2004).5 Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass die Förderung dieser Zielgruppe für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) kein Ziel um seiner selbst willen war, sondern damit von Anfang an auch das machtpolitische Interesse verbunden war, auf diese Weise sowohl Einfluss auf die als "bürgerlich" wahrgenommenen Universitäten als auch auf die Elitepositionen des Landes genommen werden sollte (Schneider 1998, Miethe 2007, Müller/Müller 1953). Die Bewertung dieser Einrichtungen bleibt letztlich ausgesprochen widersprüchlich und entzieht sich immer wieder einfachen Zuschreibungen als "stalinistische Kaderschmieden" auf der einen oder als Instrument zur Herstellung zur Chancengleichheit auf der anderen Seite (vgl. Miethe 2007). Die hier vorliegende Studie nimmt über den Ansatz einer biografischen Institutionenanalyse diese verschiedenen Aspekte in den Blick. Zum einen den untrennbaren Zusammenhang von pädagogischer und politischer Funktion dieser Institution, zum anderen aber auch die biografische Verarbeitung der Lebens- und Arbeitsrealität dieser Institution, zu der immer auch der Alltag und die jeweils individuelle biografische "Antwort" auf die Anforderungen der Institution zu zählen ist. Der in dieser Untersuchung entwickelte Ansatz einer biografischen Institutionenanalyse ist ein sehr komplexes Verfahren, das von daher auch nur exemplarisch an einer ABF aufgezeigt werden kann. Dies erfolgt hier am Beispiel der ABF der Universität Greifswald bzw. der Vorstudienschule (VSS), wie die VA in Mecklenburg-Vorpommern bezeichnet wurden. Diese ist eine der kleineren, allerdings dadurch, dass sie das Vorbild für den bekannten Roman von Hermann Kant abgab, sicherlich eine der bekanntesten ABF der DDR. Der Hauptunterschied dieser ABF zu den anderen ABF der DDR lag vor allem darin, dass diese aufgrund der regionalen Lage in Vorpommern über einen vergleichsweise hohen Anteil an Bauern verfügte - eine Personengruppe, deren Gewinnung besonders schwierig war und die sich an den anderen ABF immer nur im einstelligen Prozentbereich befand. Davon abgesehen, können aber viele der hier exemplarisch nachgezeichneten Entwicklungen der ABF Greifswald - vor allem auch im Hinblick auf die in dieser Studie angestrebte theoretische Diskussion über das Verhältnis von Biografie und Institution - verallgemeinert werden. Das heißt, die hier vorliegende Studie zeichnet nicht die Geschichte der ABF der DDR insgesamt nach, da dies an anderer Stelle bereits detailliert vorgenommen wurde (Miethe 2007). Im Zentrum des Interesses steht aber auch nicht eine regionalgeschichtliche Untersuchung zur ABF Greifswald, sondern die ABF Greifswald fungiert lediglich als ein empirisches Beispiel, an dem exemplarisch das Wechselverhältnis von Biografie und Institution nachgezeichnet werden soll. In der vorliegenden Arbeit wird mit dem Ansatz einer biografischen Institutionenanalyse die Entstehung, Entwicklung und Funktion dieser Bildungsinstitution nachgezeichnet. Entsprechend lauten die zentrale Fragestellungen der Studie: Wie kam es zur Entstehung, Entwicklung und Auflösung einer Bildungsinstitution der DDR? Wie veränderten die Handelnden die Institution und wie veränderte die Institution die Handelnden? Welche allgemeinen theoretischen Schlussfolgerungen lassen sich aus diesem empirischen Beispiel für das Verhältnis von Biografie und Institution ziehen? Diesen Fragen wird am Beispiel des Lehrkörpers der VA/ABF Greifswald über den Zeitraum von 1946 bis 1962 nachgegangen.

Inhalt
Danksagung 1. Einleitung, Problemstellung und theoretischer Ansatz 1.1 Theoretischer Ansatz der Studie 1.1.1 Zum Verständnis von Institution 1.1.2 Der Ansatz der biografischen Institutionenanalyse 1.2 Zur Gliederung der Arbeit 2. Methodischer und methodologischer Ansatz 2.1 Beschreibung der Quellenbasis 2.1.1 Sachakten und administrative Zuständigkeiten 2.1.2 Ego-Dokumente 2.1.3 Mündliche Quellen 2.1.4 Quellenkritik 2.2 Die Vier-Ebenen-Analyse des biografischen Materials 2.2.1 Ebene 1: Biografien als historische Rekonstruktionen 2.2.2 Ebene 2: Biografien zur deskriptiven Typenbildung 2.2.3 Ebene 3: Biografien als Zeitzeugen- und Erfahrungswissen 2.2.4. Ebene 4: Biografien als Fallrekonstruktionen und genetisch-strukturale Typenbildung 2.2.5 Darstellung der Ergebnisse 3. Geschichte der VSS/ABF Greifswald im Zusammenspiel von Zeitereignissen und Biografie 3.1 Der Beginn des Arbeiter- und Bauernstudiums in Mecklenburg-Vorpommern 3.1.1 Sonderreifeprüfungen und abschlussbezogene Abiturkurse an den Volkshochschulen 3.1.2 Die Gründung und Entwicklung der Vorstudienschule 3.1.3 Gründe der frühen Sowjetisierungsprozesse 3.2 Die Umwandlung zur ABF 3.2.1 Die Leiterin der Vorstudienschule - Helene Wrede 3.2.2 Der erste Direktor der ABF - Rektor Dr. Richard Fritze 3.3 Die weitere Entwicklung der ABF 3.3.1 Der Prozess der Remilitarisierung 3.3.2 DDR-Flucht als Aufkündigung der Loyalität 3.3.3 Der Revisionismus an der ABF 4. Der Lehrkörper: Historische Rekonstruktionen und deskriptive Typologie 4.1 Statistischer Überblick 4.2 Rekrutierungswege des Lehrkörpers 4.2.1 Die Universität als Kaderreservoir 4.2.2 Der Kampf um Lehrkräfte der Oberschulen 4.2.3 Sonstige Rekrutierungswege 4.3 Kriterien der Auswahl von Lehrkräften 4.3.1 Fachliches und methodisches Wissen 4.3.2 Politische Loyalitä…


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