Globalisierung und religiöse Rhetorik

Globalisierung und religiöse Rhetorik

Einband:
Paperback
EAN:
9783593385839
Untertitel:
Heilsgeschichtliche Aspekte in der Globalisierungsdebatte
Genre:
Politische Soziologie
Autor:
Michael Dellwing
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 06.2008
Anzahl Seiten:
163
Erscheinungsdatum:
30.06.2008
ISBN:
978-3-593-38583-9

Campus Forschung

Die Globalisierungsdebatte wird von zwei sehr unterschiedlichen Lagern geführt. Die Vertreter des Liberalismus glauben an die heilsbringende Macht der Marktordnung, die neomarxistische Seite sieht die Lösung vieler Probleme dagegen in der Befreiung von eben dieser Marktordnung. Beide Seiten werfen der jeweils anderen vor, die Wahrheit zu ignorieren. Schaut man genauer hin, fällt allerdings eine Gemeinsamkeit auf: die Verwendung religiöser Begriffe und Erzählmotive. Auch bieten beide Seiten eine Heilsgeschichte, die die Hoffnung auf Erlösung und die Angst vor Zerstörung enthält. In ihrem Reden sind sie sich daher näher, als ihnen recht sein kann.

Vorwort
Campus Forschung

Autorentext
Michael Dellwing studierte Global Political Economy an der Universität Kassel und ist dort am Lehrstuhl Makrosoziologie als Lektor tätig.

Leseprobe
Die Globalisierung ist ein im Verweis auf religiöse Rhetorik gefülltes und somit darin produziertes Phänomen, vor allem dann, wenn sie im Muster "Zeitenwende" beschrieben wird. Das klassisch-liberale Vokabular erhielt seinerseits seine Füllung im Verweis auf calvinistisches Vokabular, wurde weitergetragen und steht als modernes liberales Vokabular weiter in diesem nun unbewussten Verweisungszusammenhang. Die ökonomisch-liberalen Beschreibungen der Globalisierung nehmen diese Verweisketten nun auf und beschreiben veri-fizierend eine Globalisierung, die prominent Motive aufnimmt, deren Verweisketten religiöse Rhetorik berühren. Die Präsenz religiöser Elemente im modernen liberalen Diskurs, beson-ders zur Globalisierung, ist häufig konstatiert worden. Während Max We-ber jedoch noch explizit davor warnte, seine Analyse des Ursprungs des modernen Industriekapitalismus in religiösen Motiven als Wertung des Ka-pitalismus oder einer religiösen Tradition zu verstehen, sind gegenwärtige Analysen religiöser Rhetoriken in liberalen Beschreibungen nicht selten Vorwürfe, "Entlarvungen", Anklagen. Die Erkenntnis, dass eine Verbin-dung besteht zwischen einer einmal bewussten religiösen Rhetorik und den Beschreibungen, die nun an die ökonomisch-liberale Globalisierung heran-getragen werden, ist jedoch keineswegs ein Vorwurf. Es ist lediglich die Analyse der Verweisungskette eines Vokabulars, das ohne Verweisungs-kette nicht existieren könnte. Es gibt keine Analyse ohne Vokabulare, keine Deutung der Welt ohne ihre Produktion in Beschreibungen. Wenn diese Beschreibung nun ihr Augenmerk auf die religiösen Rhetoriken richtet, auf die das Vokabular der ökonomischen Globalisierung verweist, dann erstens aus der Sicht eines eben eigenen pragmatischen Vokabulars des Nichtin-vestierten, andererseits im Bewusstsein, dass die ökonomische Globali-sierung immer Rhetorik benötigt, um gedacht werden zu können, und ihr die Verwendung einer Rhetorik daher nicht vorgeworfen werden kann. In dieser Untersuchung der ökonomisch-liberalen Beschreibungen der Globalisierung auf ihre religiösen Verweise sollen nun vier Beispiele he-rausgegriffen werden. Zum einen wird die Globalisierung in dieser Rhe-torik als höhere Macht dargestellt, die nun im Vokabular des bereits im theologischen Kontext seinen Ursprung findenden Marktgedankens als Reaktion des verantwortlichen Einzelnen "Demut" - Hayeks Begriffswahl - erfordert. Hier wird die Globalisierung im Verweis auf den ökono-mischen Marktbegriff beschrieben, der seinerseits auf diese göttliche Hand als höhere Macht verwiesen hatte. Diese Marktordnung zeigt zweitens im liberalen Vokabular von sich aus eine Tendenz zum Guten hin und wird, wenn sie nicht gestört wird, zum guten Ende führen. Das ist Fukuyamas weit kritisierter Ansatz, der in der Ökonomie jedoch verbreitet bleibt und der eschatologische Heilserwartungen reproduziert. Drittens werden im Rahmen dieser guten Ordnung des Marktes Antworten auf die Fragen des Leides in der Welt gegeben, die theologischen Antworten auf die Frage nach dem Leid bemerkenswert ähneln: Die Rhetoriken zum Verhältnis von Globalisierung und Mensch verweisen auf Rhetoriken des Verhältnisses von Gott und Mensch. Viertens und mit dem vorigen Punkt verwandt bil-det dieser Liberalismus eine Gruppe von Vertretern aus, die eine Rolle einnehmen, die ebenso der des Missionars und Pfarrers nicht unähnlich ist. Die höhere Macht Liberale Rhetorik hatte den Markt im Verweis auf calvinistische Muster des planvollen, regelsetzenden Gottes beschrieben. So wurde der Markt zum Raum naturgesetzlicher Regeln, die eingehalten werden mussten. Im Ver-weis auf die ökonomische Vokabel des Marktes wird diese Globalisierung nun als eine höhere Macht beschrieben, als außergesellschaftliche Quelle von Gesetzen und Verantwortung. Die Globalisierung ist so eine Zeiten-wende, die Forderungen stellt und Verantwortung begründet, die unnach-giebig und unentrinnbar Druck ausübt; diesem wiederum muss entspro-chen werden, indem man der Verantwortung nachkommt und im Ange-sicht der Globalisierung die richtige Antwort auf sie gibt. Sie ist das neue Andere. Die Globalisierung existiert in dieser Beschreibung als eine Macht, die die Welt beeinflusst oder gar lenkt, die jedoch selbst nicht gelenkt oder beeinflusst werden kann. Diese Beschreibung trägt somit Motive in sich, die klassische Dualismen reproduzieren, die ihrerseits vor allem in theo-logischen Diskussionen vertreten wurden (was nicht bedeutet, dass sie ori-ginär aus ihnen stammen müssen). "Die Welt", schreibt Ernst Troeltsch, "wird als [] der von Gott verordnete Boden unseres Tuns hingenom-men, wie wir Wind und Wetter hinzunehmen haben." Diese Welt ist Ausdruck des jenseitigen Anderen, des Göttlichen, das nicht beeinflusst werden kann, das nur selbst beeinflusst und dem (auf dieser Seite) gefolgt oder die Gefolgschaft verweigert werden kann. Damit wird sie, als dies-seitige Manifestation des Anderen, Ausdruck des Heiligen: "One of the essential qualities of the sacred is otherness", schreibt Peter Berger; das Sakrale stellt eine externe, Regeln setzende Instanz dar, wie Gott (oder auch Kants kategorischer Imperativ), der nicht als historisch geschaffen oder geformt beschrieben wird und daher nicht hinterfragt, überzeugt oder angezweifelt werden kann. Es ist keine Instanz, mit der man über ihre Re-geln verhandeln oder die durch Rebellion gestürzt werden kann. Gott ver-körpert die Natur der Dinge, an die man sich anpassen und denen man sich unterwerfen muss, will man überleben (sei es im hiesigen oder im ewigen Leben). Nun ist schnell klar, inwieweit im obigen Ansatz das Wort "Gott" ersetzt werden kann durch "die Sachzwänge der Globalisierung", um die Rhetorik der liberalen Ökonomie ohne Abstriche wiederzugeben. Diese Einsicht ist schon fast banal. Die Sachzwänge, denen der Mensch - und die Gesellschaften - in der globalisierten Welt nun einmal unterworfen sind, werden nicht als historisch geschaffen oder geformt gedacht und können daher nicht hinterfragt, überzeugt oder angezweifelt werden. Diese Globalisierung ist die Instanz, die als Urheber dieser Zwänge beschrieben wird, und sie ist keine Instanz, mit der man über Regeln verhandeln oder die durch Rebellion gestürzt werden kann. Diese Sachzwänge verkörpern die Natur der Dinge, an die man sich anpassen und denen man sich unterwerfen muss, will man überleben (sei es als Individuum oder als Land). In dieser Beschreibung ist "die Globalisierung" Ausdruck einer bestimmten materiellen, oft technisch bedingten Entwicklung der weltwei-ten Ausbreitung des liberalen Marktes, die in der Welt objektiv abläuft. Sie wird als Unwetter oder Chance erzählt, die über die Menschheit kommt und auf die diese reagieren muss. Eine Wahl, sie zu umschiffen, existiert in dieser Beschreibung nicht. Diese Globalisierung ist nicht nur neue Situa-tion, sie steht im Verweis auf die Marktrhetorik wieder im Vokabular der providentiellen Mächte, in dem auch der Markt des Liberalismus stand. Die Globalisierung als Beschreibung erbt diese providentielle Rhetorik, die der …


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