Die Sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945

Die Sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783593383729
Untertitel:
Ein Handbuch
Genre:
Soziologie-Lexika
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 05.2008
Anzahl Seiten:
770
Erscheinungsdatum:
13.05.2008
ISBN:
978-3-593-38372-9

Die bewegte Republik

Ob Proteste gegen die Notstandsgesetze, Gewerkschaften, Antiatomkraft- oder Frauenbewegung: Deutsche Geschichte ist auch eine Geschichte sozialer Bewegungen und lässt sich nur in Auseinandersetzung mit ihnen erfassen und verstehen.

Vorwort
Die bewegte Republik

Autorentext
Roland Roth ist Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Magdeburg- Stendal. Dieter Rucht ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin und Leiter einer Arbeitsgruppe am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Leseprobe
Die Demonstrationen konnten an manchen Orten auf zurückliegenden, kleineren Demonstrationen aufbauen, wurden zyklisch und erlangten Massencharakter. Der für Mobilisierungen sozialer Bewegungen bestehende Zwang zur Steigerung der Aktionsformen bzw. der Größe der Bewegungen lässt sich hier in Reinform studieren: In den Wochen bis zur Öff nung der Mauer wuchs etwa die Zahl der Teilnehmer an den Leipziger Montagsdemonstrationen exponentiell. In den Monaten September, Oktober und November verdoppelten sich die Teilnehmerzahlen von Woche zu Woche. Eine kurze Zeit hatte es gar den Anschein, als ob die gesamte Bevölkerung der Stadt davon erfasst würde. Zugleich verbreiteten sich die Demonstrationen in der ganzen Republik. Die Leipziger Montagsdemonstration diente dabei vielen lokalen Protesten als Vorbild. Es wird geschätzt, dass sich über eine Million der sechzehn Millionen Einwohner der DDR an den Mobilisierungen des Herbstes 1989 beteiligte. Im Gegensatz zu Protesten in westlichen Ländern wohnte den Mobilisierungen kein provokatives oder spielerisches Moment inne; sie brachten auch keine Innovationen in die Protestkultur ein. Ihre Besonderheit war, dass sie überhaupt stattfanden. Der Ernst, von dem sie in der Anfangsphase getragen waren, brachte die existenzielle Situation zum Ausdruck. Neben den Demonstrationen bildete in dieser Phase die Petition eine wesentliche Aktionsform der Bürgerbewegungen. Von zentraler Bedeutung war dabei die Unterschriftenkampagne für die Zulassung des Neue Forums. Neben den Demonstranten, die die Forderung "Neues Forum zulassen" zu einer wesentlichen Losung erhoben hatten, unterstützten bis Ende November 200 000 Bürger in der DDR mit ihrer Unterschrift diese Bürgerbewegung. Kundgebungen gehörten erst ab Anfang November zum Aktionsrepertoire der Bürgerbewegungen; die größte war die am 4. November in Berlin von den Kulturschaff enden, den Bürgerbewegungen, aber auch Vertretern des Reformfl ügels der SED und anderen Massenorganisationen veranstaltete Versammlung mit etwa 500 000 Teilnehmern. Diese Aktionsform erlangte aber keine größere Bedeutung, zumal sich zeigte, dass allein die Bürgerbewegungen nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Bürgern mobilisieren konnte. Ähnliches triff t für die Dialogveranstaltungen zu, die ebenfalls im November ihren Höhepunkt hatten und die in den Runden Tischen ihre institutionalisierte Fortsetzung fanden. Mit den Besetzungen der Stasi-Zentralen griff en die Bürgerbewegungen ab Anfang Dezember 1989 auch zu radikaleren Mitteln, die im Januar 1990 teilweise gewalttätigen Charakter annahmen, wie im Falle der Besetzung der Berliner Stasi-Zentrale. Bereits nach der Öff nung der Westgrenze am 9. November war ein deutlicher Rückgang der Teilnehmerzahlen an den Demonstrationen zu verzeichnen, der sich nach der Erfüllung weiterer zentraler Forderungen, den Rücktritten des Politbüros und des Zentralkomitees der SED sowie der Aufgabe ihres formellen Machtanspruchs, beschleunigt fortsetzte. Allerdings waren damit noch nicht die genuinen Bewegungsziele der Einführung von Basisdemokratie und des Aufbaus einer zivilen Gesellschaft erfüllt. Diese wurden aber auch kaum von der Bevölkerung geteilt - entgegen der Wahrnehmung in den Bürgerbewegungen. Um diese Ziele herbeizuführen gab es auch keine eigenständigen Mobilisierungen oder Aktionen mehr, zumal die Aktivisten der Bürgerbewegungen in dieser Phase vollständig von Organisations- und politischer Arbeit absorbiert waren und für weitergehende Ziele keine Ressourcen zur Verfügung standen. Alle Aktionsformen waren aus der jeweiligen Situation und ihrer Deutung durch die Akteure der Bürgerbewegungen erwachsen; sie folgten nicht strategischen Zielen. Bemerkenswert ist neben ihrer außerordentlichen Durchschlagkraft, dass sie Ergebnisse massenhafter demokratischer Lernprozesse waren. Die Mo bilisierungen des Herbstes 1989 bewirkten die Einübung einer unkonventionellen Form demokratischer Partizipation. Für viele DDRBürger war dies nach Jahrzehnten die erste Möglichkeit, eigene Interessen öff entlich geltend machen und sich unabhängig von den gesellschaftlichen Organisationen artikulieren zu können.

Inhalt
Vorwort der Herausgeber Kapitel 1 Einleitung - (Roland Roth und Dieter Rucht) Historisch-Politischer Kontext Kapitel 2 Die unmittelbaren Nachkriegsjahre (1945-1949) (Arno Klönne) Kapitel 3 Der CDU-Staat (1949-66) (Wolf-Dieter Narr) Kapitel 4 Große und Sozialliberale Koalition (1966-1974) (Sven Reichardt) Kapitel 5 Das Modell Deutschland und seine Krise (1974-1989) (Wolfgang Fach) Kapitel 6 DDR - regimekritische und politisch-alternative Akteure (1949-1990) (Jan Wielgohs) Kapitel 7 Das wiedervereinigte Deutschland - soziale Bewegungen "im Systemwandel" (Michael Minkenberg) Bewegungen, Proteste und Themenfelder Kapitel 8 Arbeiterbewegung (Eberhard Schmidt) Kapitel 9 Frauenbewegung (Ute Gerhard) Kapitel 10 Umweltbewegung (Karl-Werner Brand) Kapitel 11 Anti-Atomkraftbewegung (Dieter Rucht) Kapitel 12 Friedensbewegung (Andreas Buro) Kapitel 13 Städtische soziale Bewegungen (Margit Mayer) Kapitel 14 Dritte-Welt-Bewegung (Claudia Olejniczak) Kapitel 15 Bürger- und menschenrechtliches Engagement in der Bundesrepublik (Wolf-Dieter Narr) Kapitel 16 Dissidente Gruppen in der DDR (1949-1989) (Marc-Dietrich Ohse und Detlef Pollack) Kapitel 17 Bürgerbewegungen in der DDR - Demokratische Sammlungsbewegungen am Ende des Sozialismus (Dieter Rink) Kapitel 18 Studentische Bewegungen und Protestkampagnen (Kristina Schulz) Kapitel 19 Antiimperialismus und Autonomie - Linksradikalismus seit der Studentenbewegung (Sebastian Haunss) Kapitel 20 Die rechtsextremistische Bewegung (Th omas Grumke) Kapitel 21 Globalisierungskritische Netzwerke, Kampagnen und Bewegungen (Dieter Rucht und Roland Roth) Kapitel 22 Selbstverwaltete Betriebe in Deutschland (Frank Heider) Kapitel 23 Kommunebewegung (Karl-Ludwig Schibel) Kapitel 24 Schwulenbewegung (Jens Dobler und Harald Rimmele) Kapitel 25 Jugendproteste und Jugendkonfl ikte (Werner Lindner) Kapitel 26 Mobilisierung von und für Migranten (Dieter Rucht und Wilhelm Heitmeyer) Kapitel 27 Proteste von Arbeitslosen (Harald Rein) Kapitel 28 Kampagnen gegen Bio- und Gentechnik (Bernhard Gill) Schluss Kapitel 29 Soziale Bewegungen und Protest - eine theoretische und empirische Bilanz (Dieter Rucht und Roland Roth) Chronologie von Ereignissen Abkürzungen Abbildungsnachweis Autorinnen und Autoren Literatur Register


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