Kreolität und postkoloniale Gesellschaft

Kreolität und postkoloniale Gesellschaft

Einband:
Paperback
EAN:
9783593383446
Untertitel:
Integration und Differenzierung in Jakarta
Genre:
Völkerkunde
Autor:
Jacqueline Knörr
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 06.2007
Anzahl Seiten:
373
Erscheinungsdatum:
30.06.2007
ISBN:
978-3-593-38344-6

Postkoloniale Identität

Jakarta, die Hauptstadt Indonesiens und bis 1945 die holländische Kolonie Batavia, ist heute mit rund zwölf Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen der Erde. Ihre multiethnische Bevölkerung ist ein typisches Beispiel einer postkolonialen Gesellschaft. Jacqueline Knörr arbeitet die Prozesse kollektiver Identitätsbildung heraus und analysiert die besondere Bedeutung von Kreolität für die Prozesse ethnischer, lokaler und nationaler Integration und Differenzierung.

Vorwort
Postkoloniale Identität

Autorentext
Jacqueline Knörr ist Associate Professor am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/ Saale und Privatdozentin am Institut für Ethnologie der Universität Halle-Wittenberg.

Leseprobe
Einleitung Diese Arbeit leistet einen Beitrag zur Erforschung der Bedeutungen und Funktionen kollektiver Identitätsmechanismen in einer postkolonialen Gesellschaft. Als "postkolonial" werden hier jene Gesellschaften bezeichnet, die über lange Zeiträume hinweg und bis in die jüngere Vergangenheit hinein Kolonialgebiete europäischer Kolonialreiche waren und die bis heute - also post-kolonial - in vielerlei Hinsicht von der historischen Erfahrung des Kolonialismus' geprägt sind. Es geht um Prozesse der Integration und Differenzierung ethnischer, lokaler und nationaler Identität in Jakarta und um die Rolle, die Kreolität als kulturelles und identitäres Referenzsystem in diesem Zusammenhang spielt. Insbesondere innerhalb solcher postkolonialer Gesellschaften, die durch ein hohes Maß an ethnischer, kultureller und sozialer Heterogenität geprägt sind, - und in denen heute die Mehrheit der Weltbevölkerung zu Hause ist -, spielt Kreolität eine wichtige Rolle für die Integration und Differenzierung eben jener Varianten kollektiver Identität, die gesamtgesellschaftlich von größter Bedeutung sind. Das liegt vor allem daran, dass kreolische Kultur und Identität aufgrund ihrer heterogenen Ursprünge ethnische wie transethnische Identifikationen ermöglicht, als ethnische und transethnische Kultur und Identität begriffen und angeeignet werden kann. Besonders dann, wenn innerhalb einer ethnisch heterogenen Gesellschaft ethnische Identitäten einen wichtigen sozialen Organisationsfaktor darstellen und Teil der identitären "Grundausstattung" eines Menschen und einer Menschengruppe sind, kann kreolische Kultur und Identität ein wichtiges Potenzial für Prozesse transethnischer Integration und - daraus resultierend - für die Förderung eines spezifisch postkolonialen Nationalbewusstseins sein. Nicht primär als identitärer und ideeller "Zwischenraum" in und zwischen Köpfen, sondern in den sozialen Beziehungen - auf dem Boden der gesellschaftlichen Realität kontemporärer postkolonialer Gesellschaften - entfaltet Kreolität ihre besondere soziale und politische Wirkung. Als eine Spätfolge des Kolonialismus und seiner Überwindung ist kreolische Kultur und Identität jedoch auch oft mit erheblichen Ambivalenzen verbunden. Prozesse gesellschaftlicher Integration und Differenzierung sind eng verknüpft mit (Re-)Konfigurationen, (Re-)Konstruktionen und Transformationen von Bedeutungen, Werten und Handlungen. Um diese Prozesse zu verstehen, wurden sie in ihren jeweiligen historischen Kontexten als auch im Rahmen ihrer aktuellen gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge untersucht und analysiert. Es galt hierzu, den für die Thematik relevanten gesellschaftlichen Kontext und die mit ihm in wechselseitiger Beziehung stehenden identitären Prozesse möglichst nah am Menschen zu erschließen. Es geht in diesem Buch um Menschen in Jakarta und zwar um solche, die ihre ethnischen, lokalen und nationalen Identifikationen im Rahmen einer kognitiv-emotionalen Bindung an Jakarta entwickeln, deren primäres identitäres Bezugssystem (in) Jakarta ist. Es geht ausdrücklich nicht um Menschen, deren primäres identitäres Bezugssystem außerhalb Jakartas lokalisiert ist, also beispielsweise nicht um ethnische Identitäten und Netzwerke der Minangkabau oder Batak in Jakarta und nicht um die von Migranten, die sich lediglich vorübergehend oder erst seit kurzem in Jakarta aufhalten und wenig Bindung an Jakarta besitzen. Es geht um Menschen, die sich in Jakarta zu Hause fühlen. Orang Betawi, Orang Jakarta, Orang Indonesia Die Konstruktion ethnischer, lokaler und nationaler Identität in Jakarta findet primär in Auseinandersetzung mit den Kategorien "(Orang) Betawi (Asli)", "Orang Jakarta" und "Orang Indonesia" statt. Dabei kommt der Kategorie "(Orang) Betawi" eine Schlüsselrolle zu. "Orang" bedeutet "Mensch" beziehungsweise "Kategorie von Menschen" - ein Orang Jakarta ist also ein Jakartaner, ein (Orang) Betawi ein Angehöriger der ethnischen Gruppe der Betawi. Da Jakarta (auch) der Name der Stadt ist, bedarf es im Indonesischen eines vorangestellten "Orang", um die Kategorie "Jakarta Mensch" von der Kategorie "Jakarta Stadt" zu unterscheiden , wohingegen "Betawi" zwar auch die indonesische Bezeichnung für Batavia, der (holländischen) Bezeichnung der Stadt Jakarta während der Kolonialzeit ist, heute aber fast ausschließlich die betreffende Gruppe von Menschen bezeichnet und deshalb keines vorangestellten "Orang" bedarf. "Asli" bedeutet "ursprünglich", "einheimisch", "echt" und wird der Bezeichnung "Betawi" häufig nachgestellt, wenn es darum geht, die (ethnische) Authentizität eines Betawi oder einer Gruppe von Betawi hervorzuheben. Die Bezeichnung für diese Gruppe von Menschen variierte stark, ebenso die Bezeichnung für ihre Sprache. Mittlerweile haben sich "Betawi", "Orang Betawi" und "Betawi Asli" als gängige Bezeichnungen durchgesetzt. Auch "Orang Jakarta" wird gelegentlich als Bezeichnung für die Betawi verwandt, dies häufig unter Verwendung eines nachgestellten "Asli". Die Kategorien "Orang Betawi" und "Orang Jakarta" stehen in wechselseitiger Beziehung zur Kategorie "Orang Indonesia", die auf den nationalen, indonesischen Identitätskontext verweist, der für Jakarta als nationale Hauptstadt eine besondere Bedeutung besitzt. Die Betawi gelten als die ursprünglichen Einwohner Jakartas - als orang asli, die Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts über Prozesse kultureller Kreolisierung verschiedener nach Batavia immigrierter Gruppen aus Indonesien und anderen Regionen Süd- und Südostasiens entstanden sind. Die Betawi verstehen sich als Volks- beziehungsweise als ethnische Gruppe (suku bangsa, kelompok etnik) und werden seitens anderer als solche eingestuft. Es werden ihnen bestimmte Merkmale sozialer, kultureller und entstehungsgeschichtlicher Art als ethnische Kennzeichen zugeordnet. Heute leben die Betawi hauptsächlich in verschiedenen zentralen Stadtteilen, in einigen Randgebieten und in den an Jakarta angrenzenden Städten Bekasi und Tanggerang. Es gibt verschiedene intraethnische Differenzierungen von Betawi-Gruppen, die im Rahmen dieser Untersuchung von Bedeutung sind und die sowohl seitens der Betawi selbst, als auch seitens Außenstehender vorgenommen werden. Im Kontext der Konstruktion und Transformation ethnischer und transethnischer Identitäten in Jakarta spielen diese Differenzierungen oft eine bedeutsame Rolle. "Orang Jakarta" (ohne nachgestelltes "Asli") bezeichnet eine primär transethnische Kategorie von Menschen, deren vorrangige soziale und kulturelle Orientierung das Jakarta der Gegenwart ist. Orang Jakarta ist man aufgrund der individuellen kognitiv-emotionalen Bezogenheit auf Jakarta, was sich in bestimmten Ansichten, Verhaltensweisen und im Sprachgebrauch niederschlägt. Das Phänomen "Orang Jakarta" ist relativ neu; es handelt sich bislang um eine Kategorie identitärer Zuordnung, nicht um ei…


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