Selbstbilder und Fremdbilder

Selbstbilder und Fremdbilder

Einband:
Paperback
EAN:
9783593380162
Untertitel:
Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel
Genre:
Sozialstrukturforschung
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 06.2008
Anzahl Seiten:
415
Erscheinungsdatum:
30.06.2008
ISBN:
978-3-593-38016-2

Eigene und fremde Welten Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel Herausgegeben von Jörg Baberowski, Vincent Houben, Hartmut Kaelble und Jürgen Schriewer

Im Mittelpunkt des Bandes stehen die Selbst- und Fremdbilder, Deutungsmuster und kollektiven Identitäten verschiedener Kulturen und Gesellschaften im historischen und innereuropäischen Vergleich, aber auch im Vergleich zwischen Europa und den Gesellschaften Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Mit Beiträgen von Andreas Eckert, Ulrike Freitag, Vincent Houben, Wolfgang Kaschuba, Herfried Münkler, Bo Stråth und anderen

Autorentext
Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hartmut Kaelble ist emeritierter Professor für Sozialgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Jürgen Schriewer ist emeritierter Professor in der Abteilung Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Leseprobe
Selbstbilder und Fremdbilder: Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel Jörg Baberowski Wer die Anderen in ein Bild setzt, macht dabei auch Erfahrungen mit sich selbst. In der Begegnung mit Fremden werden Gewissheiten erschüttert und herausgefordert, die Welt verändert sich. Man erfährt, dass die Welt kein Ort unerschütterlicher Wahrheiten und eindeutiger Ordnungen ist. Nichts ist mehr wie zuvor, nachdem die eigene Welt in Frage gestellt worden ist. Gewöhnlich versuchen Menschen, die herausgefordert oder verunsichert werden, die ihnen vertrauten Ordnungen und Lebensweisen zu bewahren und gegen Zumutungen zu verteidigen. Aber sie werden gezwungen, über die Welt, in der sie leben, nachzudenken, sie werden das Selbstverständliche als das Besondere wahrnehmen und es bewusst verteidigen. Nur im Spiegel des Anderen wird erfahrbar, was man selbst ist. Kultur wird reflexiv. Darin liegt die eigentliche Bedeutung der interkulturellen Kommunikation für die Kulturwissenschaften: dass sie die Orte sichtbar macht, von denen aus Menschen miteinander sprechen. Nun haben aber Menschen die kulturellen Ordnungen, die ihnen eine Sprache ermöglichen, nicht zu ihrer Verfügung. Sie sind ins Leben geworfen und sie haben keine andere Wahl, als sich zu den Ordnungen, in denen sie existieren, zu verhalten. Es ist der Ort, von dem aus wir sprechen, der es uns ermöglicht, die Unterschiede zwischen uns und den anderen zu erkennen und zu bestimmen. Wer handelt, deutet, aber dieses Handeln ereignet sich nicht im Nirgendwo. Deshalb stehen Deutungen und Wissensordnungen in einem engen Zusammenhang. Hier nun kommen die Repräsentationen ins Spiel. Sie sind Organisationsformen des Wissens, Muster der sinnhaften Verarbeitung von Lebensverhältnissen und kollektiven Erfahrungen, die Menschen ermächtigen, sich in der historischen, sozialen oder politischen Realität zurechtzufinden.1 Anders gesagt: wir könnten die Welt nicht verstehen, wenn wir sie nicht auf Begriffe brächten oder in Symbolen oder Bildern darstellten und damit für uns und andere festhielten. Die Repräsentation des Erfahrenen ermöglicht es Menschen überhaupt erst, etwas zu wissen und es anderen mitzuteilen. Wenn wir nicht die Gabe besäßen, Erfahrungen aufzubewahren, weiterzuerzählen und ihnen eine dauerhafte Gestalt zu geben, könnten wir einander nicht mitteilen, wie wir die Welt sehen und erfahren haben. Um es mit Ernst Cassirer zu sagen: der Mensch kann der Welt nicht unmittelbar gegenübertreten, er kann seinen eigenen Erfindungen nicht entkommen. Statt mit den Dingen, hat er es immer nur mit sich selbst und den Repräsentationen zu tun, die sein Wissen ordnen. Die Repräsentationen schieben sich zwischen uns und die Wirklichkeit, aber sie verstellen unseren Blick auf die Welt nicht, sie machen ihn im Gegenteil erst möglich.2 So gesehen eröffnen Repräsentationen Handlungsmöglichkeiten, sie beschränken sie aber auch, weil sie keine beliebigen Optionen eröffnen. Repräsentationen sind also Darstellungsformen des Wissens, die es Menschen überhaupt erst ermöglichen, sich eine Welt zu errichten. Wo etwas zum Ausdruck gebracht wird, äußert es sich in symbolischen Formen, in Repräsentationen. Mit ihnen erschließen wir die Welt, in der wir leben. Nur wo es einen übergreifenden Verstehenszusammenhang, eine gemeinsame Ausgelegtheit der Welt gibt, ist ein Gespräch möglich. Wenn der gemeinsame Orientierungsrahmen fehlt, kann es zu Missverständnissen oder zum Abbruch der Verständigung kommen. Darin zeigt sich die Spannung jeder interkulturellen Verständigung. Gleichwohl ist jede Kultur auf die Existenz fremder Repräsentationen angewiesen, sie braucht sie, um sich ihrer eigenen Repräsentationen zu vergewissern. Das aber bringt Menschen in die Möglichkeit, sich selbst zu beobachten, sich vom anderen herausfordern zu lassen, sich zu verändern und Fremdheit durch Verstehen aufzulösen, im Wissen, das die anderen an der Lesart der eigenen Kultur mitarbeiten. Denn andere Kulturen sind nur andere Sinnverhältnisse, und als solche sind sie menschlichem Verstehen zugänglich. Darin liegt die Bedeutung der Repräsentationen für das Verstehen jenes Geschehens, das man Kultur nennt. Kulturwissenschaftler, die wissen wollen, wie Menschen die Welt gesehen haben, müssen die Repräsentationen untersuchen, mit deren Hilfe eine Erschließung und Veränderung der Welt überhaupt nur möglich ist. Denn sie wollen nicht wissen, wie die Welt an sich ist, sondern wie Menschen glauben, dass sie beschaffen ist und welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus für sie ergeben. Menschen leben nicht in festen, abgeschlossenen Ordnungen, sondern sie stellen sie her, sie schaffen ihre eigene Welt, indem sie die vorhandenen Ordnungen, in die sie hineingeworfen sind, herausfordern. Wer sich der Erforschung von Repräsentationen zuwendet, hat es nicht nur mit Texten und Gesprächen zu tun. Auch Bilder und Zeichen, Inszenierungen und Performanzen sind Repräsentationen. »Eine Geschichte ohne das Imaginäre«, sagt Jacques Le Goff, »ist eine verstümmelte, entleibte Geschichte «.3 Bilder sind aber nicht nur Ausdruck sozialer Ordnungen, sie sind zugleich Zeugnisse dafür, wie Menschen ihre Sicht auf die Welt festhalten und mitteilen. Bilder sind also keine Abbilder und Anzeichen, sie sind Bewegungskräfte, die Meinungen visualisieren, rechtfertigen oder delegitimieren. Bilder, stehende wie bewegte, mobilisieren Emotionen, sie produzieren und verändern Vorstellungen.4 Inschriften, Denkmäler, Straßen, Plätze und Gebäude verändern das Lebensgefühl und die Vorstellungen von Menschen, sie geben den Wahrnehmungen eine Struktur. Deshalb spiegeln Visualisierungen nicht die historische Wirklichkeit, sie sind als Repräsentationen Sichtweisen dieser Wirklichkeit. Ohne die Erforschung visueller Medien und Zeichensysteme wäre die Frage, was Repräsentationen sind und was sie bewirken, nicht zureichend zu beantworten.5 Denn auch die Sehgewohnheiten werden in Begegnungen und Konfrontationen geschärft und zur Sprache gebracht. Bilder dokumentieren, wie Menschen auf eine kulturelle Konfrontation reagieren, sie ermöglichen es uns zu erkennen, wie Menschen das Eigene im Anderen entdeckt haben. Diese Frage wird von den Autoren zwar nicht exklusiv untersucht, aber stets bedacht, wo von Verhältnissen des Eigenen und Fremden die Rede ist. Wie Repräsentationen soziale Ordnungen erzeugen, wenn Menschen einander begegnen, und wie diese Repräsentationen von den Ordnungen geformt werden, aus denen sie sich hervorbringen das ist das Thema des vorliegenden Buches. Repräsentationen richten aber die Ordnungen nicht nur aus, sie gehen auch aus ihnen hervor. Damit sichtbar wird, wie Repräsentationen und Ordnungen sich aufeinander einspielen, untersuchen die Autoren Kontexte der Begegnung von Konzepten, Ideen und Vorstellungen in ihrer Reflexivität. Repräsentationen sind also keine Abbildungen, sondern Verdichtungen des Sinns, die sich in der Begegnung von Menschen erschließen. Diese Verdichtungen verwandeln sich, sobald sie zu festgefügten Vorstellungen geworde…


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