Von Feldherren und Gefreiten

Von Feldherren und Gefreiten

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783486581447
Untertitel:
Zur biographischen Dimension des Zweiten Weltkriegs
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Herausgeber:
De Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten:
129
Erscheinungsdatum:
14.01.2008
ISBN:
978-3-486-58144-7

Kein militärischer Konflikt hat so viele Menschen mobilisiert wie der Zweite Weltkrieg . Schon allein deshalb fällt es nicht leicht, einzelne Personen im Blick zu behalten, ihre Schicksale nachzuzeichnen und ihre Handlungsspielräume auszuloten, seien sie nun militärischer, politischer oder ethischer Natur. Der zweite Band der Reihe "Zeitgeschichte im Gespräch" konzentriert sich auf die Akteure des Kriegsgeschehens.

Die Autorinnen und Autoren untersuchen typische Karrieren, individuelle Erfahrungen oder gruppenspezifisches Verhalten und stellen dabei verschiedene Ansätze der Biographieforschung an konkreten Beispielen auf den Prüfstand. Die Beiträge dieses Bandes fassen aktuelle Forschungsergebnisse zum Verhältnis von Biographie, Ereignis und Struktur zusammen und geben neue Einblicke in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.

Autorentext
Christian Hartmann, geboren 1959, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin; stellvertr. Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Dozent an der Universität der Bundeswehr München.

Leseprobe
Amedeo Osti Guerrazzi

Rodolfo Graziani Karriere und Weltanschauung eines faschistischen Generals (S. 21)

1. Herkunft und Laufbahn

Rodolfo Graziani, Marschall von Italien und Marquis von Neghelli, war einer der berühmtesten Offiziere zur Zeit Mussolinis. Als erfolgreicher Truppenführer in Afrika wurde er von der Propaganda des Regimes zum Modell jenes neuen Menschen hochstilisiert, den zu schaffen, der Duce" sich auf seine Fahnen geschrieben hatte. Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs mit Ehrungen überhäuft, fiel Graziani nach dem desaströsen Ausgang des Feldzugs in Nordafrika 1940/41 in Ungnade und tauchte erst wieder nach der Gründung der Repubblica Sociale Italiana aus der Versenkung auf, deren Kriegsminister er wurde.

Man hat Graziani als den größten Faschisten unter den Generälen des königlichen Heeres bezeichnet. Ein solches Urteil wirft freilich die Frage nach den Beziehungen zwischen Armee und Faschismus sowie die Frage nach den Karrierewegen hoher Offiziere seit 1922 auf. Graziani wurde am 11. August 1882 in Filettino geboren, einem winzigen Ort in einer der ärmsten Regionen Mittelitaliens. Er entstammte einem kleinbürgerlichen Elternhaus. Sein Vater verdiente als Arzt gerade genug, um die Ausbildung seiner Söhne zu finanzieren.

Nachdem er das Gymnasium absolviert hatte, schlug Graziani die Offizierslaufbahn ein, wobei er aufgrund der schwierigen ökonomischen Situation seiner Familie einige Umwege in Kauf nehmen musste. 1904 wurde Graziani zum Leutnant befördert und versah seinen Dienst schließlich beim 1. Grenadierregiment in Rom, bevor er 1908 aus Abenteuerlust um seine Versetzung in die afrikanischen Kolonien bat, wo er mit Unterbrechungen bis zum Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg blieb.

Die blutgetränkten Schlachtfelder Norditaliens boten einem ambitionierten Offi- zier wie Graziani die ideale Bühne, um sich hervorzutun, und als der Krieg zu Ende ging, hatte er sich welch glänzende Karriere! zum jüngsten Oberst des italienischen Heeres hochgedient. Zwischen 1915 und 1918 waren jedoch nicht nur seine unbestreitbaren Fähigkeiten als Truppenführer zum Vorschein gekommen, sondern auch sein hemmungsloser Ehrgeiz und sein schier grenzenloser Hunger nach Auszeichnungen.

Das Ende des Ersten Weltkriegs wurde für das italienische Offizierskorps als soziale Gruppe trotz des Sieges zum Trauma. Vor allem in den ersten Monaten des Jahres 1919 waren die Offiziere Ziel einer wüsten sozialistischen Propagandakampagne, die sie für alles verantwortlich machte, was die Arbeiterschaft seit 1915 hatte erdulden müssen. Die Offiziere hatten den Dank des Vaterlandes erwartet und sahen sich nun herausgefordert, beleidigt und an den Pranger gestellt. Graziani befand sich zu dieser Zeit in Parma, einer Hochburg der radikalen Sozialisten, wo seine Soldaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sorgen sollten und wo er vom Comitato rivoluzionario der Stadt schließlich mit dem Tode bedroht wurde.

Später schrieb er in seiner Autobiographie, er habe sich trotz allem nicht dem Faschismus angenähert und die größtmögliche Neutralität in den politischen Auseinandersetzungen gewahrt3. Tatsächlich war der offiziell am 23. März 1919 in Mailand aus der Taufe gehobene Faschismus in Parma noch völlig unbekannt, und Graziani sah wie die übergroße Mehrheit seiner Kameraden im Sozialismus nicht nur eine aktuelle Gefahr, sondern die Wurzel allen Übels.

Dieser antisozialistische Affekt ging so weit, dass viele Offiziere das Vertrauen in das liberale System verloren, das offensichtlich nicht in der Lage war, das Prestige der Armee zu wahren und die Früchte des Sieges" festzuhalten. Auch Graziani blieb von dieser Erschütterung des inneren Koordinatensystems nicht verschont und bat darum, vorübergehend in die Reserve versetzt zu werden.

Inhalt
Christian Hartmann, Einleitung I. Eliten Johannes Hürter, Was ist ein "Nazi-General" und wie wird man dazu? Probleme und Ergebnisse einer Gruppenbiographie deutscher Heerführer im Zweiten Weltkrieg Amedeo Osti Guerrazzi, Rodolfo Graziani. Karriere und Weltanschauung eines faschistischen Generals Thomas Schlemmer, Giovanni Messe. Ein italienischer General zwischen Koalitions- und Befreiungskrieg II. Troupiers Peter Lieb, Generalleutnant Harald von Hirschfeld. Eine nationalsozialistische Karriere in der Wehrmacht Hermann Graml, Am Beispiel meines Bruders. Oberleutnant Bernhard Graml III. Täter und Opfer Felix Römer, Truppenführer als Täter. Das Beispiel des Majors Günther Drange Reinhard Otto, Sowjetische Kriegsgefangene. Von der Kollektiv- zur Individualbiographie IV. Ordinary men and women Christoph Rass, Gibt es den Gefreiten Jedermann? Perspektiven der Analyse personenbezogener Akten zum Personal militärischer Institutionen Birgit Beck-Heppner, Frauen im Dienst der Wehrmacht: Individuelle oder kollektive Kriegserfahrung? V. Ausblick Bernhard R. Kroener, Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Biographische Deutungen im Zeitalter zusammenbrechender Werte und Eliten


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