Wer schreibt, der bleibt

Wer schreibt, der bleibt

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783446202894
Untertitel:
Essays und Reden. Gesammelte Werke Band 8
Genre:
Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Autor:
Ludwig Harig
Herausgeber:
Hanser C.
Anzahl Seiten:
528
Erscheinungsdatum:
31.03.2004
ISBN:
978-3-446-20289-4

Der erste Band der achtbändigen Werkausgabe des großen saarländischen Schriftstellers Ludwig Harig versammelt poetologische und ästhetische Texte, Vorlesungen und Rezensionen. Ein Nachwort und ein konzentrierter Sachkommentar des Duisburger Germanisten Werner Jung geben die notwendigen Erläuterungen.

Autorentext
Ludwig Harig, am 18. Juli 1927 in Sulzbach/Saar geboren, starb am 5. Mai 2018 ebenda. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Heinrich-Böll-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis; außerdem war Harig Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Leseprobe
Erklären heißt Einschränken Zuerst experimenteller Formalist, später dann autobiographischer Erzähler, bin ich vom Anfang meines Schreibens an nur Schriftsteller, sonst nichts. Ich bewundere, ja verehre die Literaturwissenschaftler, deren Neugier nicht nur auf das Geschriebene der Schriftsteller, sondern auch auf all das gerichtet ist, was sozusagen flankierend dieses Geschriebene bedingt, hervorbringt, begleitet. Dazu gehört des Erklärens wegen ihr vornehmliches Interesse für die Herkunft von Zitaten und deren genauer Quellennachweis. Erklären und Erzählen ist jedoch zweierlei, folglich spielen Zitate in literarischen Werken eine andere Rolle als Zitate und ihre Herkunft in literaturwissenschaftlichen Arbeiten. Dementsprechend sind meine im literaturwissenschaftlichen Verständnis unvollständigen Quellenangaben keine außerhalb des Textes liegenden Ergänzungen, sondern stets Bestandteile des Textes innerhalb der narrativen Vorgänge. »Erklären heißt immer auch Einschränken«: Wo und wann ich diesen wunderbaren Satz von Oscar Wilde gelesen habe, weiß ich nicht mehr. Doch ich habe ihn im Gedächtnis behalten, weil er wahr und ein Plädoyer ist gegen die einengende Richtschnur der Meinung und für die freie Entfaltung der Phantasie. Ich, der Erzähler, erzähle und erkläre nicht. Ich will mein Erzähltes nicht durch Kommentare, Fußnoten, Anmerkungen einschränkend in eine Richtung lenken, ich möchte meine Erzählungen nicht verderben, weder durch Geschichten, die in einem verabredeten Raum, noch durch Geschichten, die in einer festgelegten Zeit spielen. Jede Wiedererkennung, jede Übereinkunft in Raum und Zeit auch in meinen autobiographischen Romanen ist scheinbar, denn im Erfundenen transzendiert das Wirkliche ins Mögliche. Mich leitet, auch wenn es für einen fragwürdigen Auswuchs der Poesie gehalten wird, Jean Pauls Wort: »Die Dichtkunst ist kein platter Spiegel der Gegenwart, sondern ein Zauberspiegel der Zeit, welche nicht ist.« Ohne seine Quelle im Kopf zu haben, ist Jean Pauls Wort das Bekenntnis meines heimlichen Spießgesellen, der mir stets tatkräftig Schützenhilfe gibt. So beziehe ich alle Zitate in mein Erzählen ein , und wo es mir nötig erscheint, kürze und verändere, ja erfinde ich sie nach Notwendigkeit und Belieben. In meiner Geschichte »Goethes leichtes, freies Herz. Abschweifung zu einem Generalthema«, gesendet zu seinem 160. Todestag am 22. März 1992 im Westdeutschen Rundfunk, unter dem Titel »Am Brennenden Berg« gekürzt abgedruckt zu seinem 250. Geburtstag in der Frankfurter Rundschau Nr. 187 am Samstag, den 14. August 1999, Seite 7, schreibe ich Johann Peter Eckermann einen von mir frei erfundenen Satz zu, der von eingefleischten Anmerkungsfetischisten seit Jahren in Eckermanns Gespräche mit Goethe gesucht, natürlich nicht gefunden, doch seiner verblüffenden Plausibilität wegen für authentisch gehalten wird (darauf kommt Jean-Pierre Lefebvre in seinem Buch Goethe, modes demploi, Editions Belin 2000, auf ironische Weise zu sprechen). Dem entgegen steht ein anderes Beispiel, worin ich Nietzsche zitiere mit einem Satz, der in seiner äußersten Schärfe selbst diesem Nihilisten nicht zugetraut und für meine Erfindung gehalten wird. Er ist nachzulesen in Nietzsches Nachlaß der Achtzigerjahre und wird von mir zitiert in der Poetikvorlesung »Glücklich die reifen Ähren. Spurensuche in Alain-Fourniers Leben«, Manuskripte Nr. 157, Graz 2000 (von Nietzsches Interpretation des Nihilismus geht übrigens Gottfried Benn aus, um seine Vorstellung der Ausdruckswelt darzustellen).


billigbuch.ch sucht jetzt für Sie die besten Angebote ...

Loading...

Die aktuellen Verkaufspreise von 6 Onlineshops werden in Realtime abgefragt.

Sie können das gewünschte Produkt anschliessend direkt beim Anbieter Ihrer Wahl bestellen.


Feedback