Denunziation als soziale Praxis

Denunziation als soziale Praxis

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783205784326
Untertitel:
Politische Prozesse der NS-Militärjustiz
Genre:
20. Jahrhundert (bis 1945)
Autor:
Ela Hornung
Herausgeber:
Böhlau, Wien
Anzahl Seiten:
377
Erscheinungsdatum:
31.10.2009
ISBN:
978-3-205-78432-6

Unter dem Titel "Wehrkraftzersetzung" wurden kritische, humoristische oder einfach nur realistische Äußerungen zu negativen Erfahrungen in der Wehrmacht, an der Front, zur Kriegslage oder zu NS-Größen von der nationalsozialistischen Militärjustiz strengstens bestraft. Anhand eines geschlossenen Bestandes von Prozessakten des Militärgerichts der Außenstelle Wien und ausgewählter Interviews legt Ela Hornung eine quantitative und qualitative Auswertung vor: In detailreichen Fallgeschichten werden biografische und soziale Hintergründe, Motive, Interessen, Konflikte, sowie unterschiedliche Reaktionsweisen der DenunziantInnen und der angezeigten Soldaten sichtbar: Individuelle Motive, private Konflikte vermischten sich mit politischen Inhalten.

Autorentext
Ela Hornung, Historikerin, externe Forscherin und Lehrbeauftragte, Habilitation am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Psychoanalytikerin in Ausbildung unter Supervision.

Klappentext
Unter dem Titel "Wehrkraftzersetzung" wurden kritische, humoristische oder einfach nur realistische Äußerungen zu negativen Erfahrungen in der Wehrmacht, an der Front, zur Kriegslage oder zu NS-Größen von der nationalsozialistischen Militärjustiz strengstens bestraft. Anhand eines geschlossenen Bestandes von Prozessakten des Militärgerichts der Außenstelle Wien und ausgewählter Interviews legt Ela Hornung eine quantitative und qualitative Auswertung vor: In detailreichen Fallgeschichten werden biografische und soziale Hintergründe, Motive, Interessen, Konflikte, sowie unterschiedliche Reaktionsweisen der DenunziantInnen und der angezeigten Soldaten sichtbar: Individuelle Motive, private Konflikte vermischten sich mit politischen Inhalten.

Leseprobe
I. NATIONALSOZIALISTISCHE MILITÄR- UND STRAFJUSTIZ ausschließungsgrund, ebenso wenig wie die Strafhöhe durch Gründe wie Furcht vor persönlicher Gefahr oder auch aufgrund von Trunkenheit reduziert wurde. 227 Besonders hart wurde bei NSDAP-Mitgliedern geurteilt. Nach dem Prozess gab es kaum Möglichkeiten zur Abänderung und Milderung von Urteilen; es wurde oft auf dem Wege von Gnadengesuchen durch Angehörige versucht, Todesurteile in Zuchthausstrafen umzuwandeln, doch dies gelang in den seltensten Fällen. 6. Drakonische Strafen Die im MStGB vorgesehenen Strafen waren Todesstrafe, Zuchthaus, Freiheits- und militärische Ehrenstrafen. Als Freiheitsstrafen galten Gefängnis, Festungshaft oder Arrest, als militärische Ehrenstrafen, die zusätzlich zu Verurteilungen in bestimmter Höhe ausgesprochen werden mussten, galten der 'Verlust der Wehrwürdigkeit' bei schweren Delikten und die Dienstentlassung beziehungsweise wie es in den von mir untersuchten Akten vorkam der 'Rangverlust', welcher bei Soldaten anstatt der Dienstentlassung ausgesprochen wurde.228 Der Verlust der Wehrwürdigkeit hatte das Ausscheiden aus jeglichem Dienstverhältnis, den Verlust des militärischen Ranges, den Verlust der Ansprüche auf Dienstbezüge, Fürsorge und Versorgung zur Folge.229 Dementsprechend hart sollten Delikte in dieser Richtung sanktioniert werden: Das Heimtückegesetz vom Dezember 1934 sah Gefängnisstrafen vor, bei 'Wehrkraftzersetzung' war grundsätzlich die Todesstrafe vorgeschrieben, in minder schweren Fällen konnten Freiheitsstrafen verhängt werden. Die militärgerichtliche Spruchpraxis erwies sich als facettenreich und war abhängig von allen Akteuren, insbesondere von der Person des Richters, und von den äußeren Umständen wie der allgemeinen Kriegslage und der Intensität der Kämpfe in den besetzten Gebieten. Nicht überraschend wurde der Druck mit den Kriegsverlusten verstärkt. Die Spruchpraxis orientierte sich an den juristischen Stellungnahmen und an den zu erwartenden Haltungen der Gerichtsherren. Die Einstellung der Richter hing primär von ihrer politischen Überzeugung ab, sie war aber nicht der einzige Faktor bei Entscheidungen. Die meisten fällten harte und drakonische Strafen, was auch die Funktion der Abschreckung für die anderen Soldaten erfüllen sollte. Diese Haltung zeigte sich in der großen Anzahl an Todesurteilen besonders deutlich. Die wichtigsten strafrechtlichen Tatbestände, auf welche die Wehrmachtsrichter die Todesstrafe anwandten, waren Fahnenflucht und 'Wehrkraftzersetzung'. Es durfte nur in Ausnahmefällen eine 'schwere Freiheitsstrafe' verhängt werden, denn die Rechtsprechung sollte nach den Erfordernissen des Krieges und 'mit abschreckender Härte'230 erfolgen. Von den 199 von mir untersuchten Verfahren endeten 121 mit Gefängnisstrafen, 17 mit Zuchthausstrafen, zwei mit einem Todesurteil, eines mit Arrest, eines mit Stubenarrest, elf mit verschärftem Arrest, eines wurde an den Volksgerichtshof übergeben, acht wurden bis nach Kriegende ausgesetzt und sechs wurden teils wegen Geringfügigkeit oder weil der Beschuldigte als vermisst gemeldet worden war eingestellt. Nur ein Verfahren endete mit einem Freispruch. Bei den restlichen Verfahren waren die Angaben unklar oder unvollständig, teilweise fand sich im Akt kein Hinweis über die Strafart und -höhe. Insgesamt wurden vom 1. Juli 1941 bis zum 31. März 1942 886 Todesurteile ausgesprochen, davon waren 565 wegen Fahnenflucht und 103 wegen Zersetzung der Wehrkraft verhängt worden.231 Genaue Zahlenangaben zu den insgesamt verhängten Todesurteilen sind nahezu unmöglich, da ein Großteil der Quellen vernichtet worden ist.232 Dennoch lässt sich feststellen, dass sich die Zahl der Todesurteile von Kriegsjahr zu Kriegsjahr steigerte. Vor Kriegsbeginn waren sie noch verhältnismäßig niedrig. Generell hat die Militärjustiz wesentlich mehr Todesurteile verhängt als die Sondergerichte und der Volksgerichtshof zusammen.233 Fritz Wüllner schätzt, dass mehr als die Hälfte aller Todesurteile wegen 'Wehrkraftzersetzung' auf das Delikt der 'Selbstverstümmelung' entfällt. Da er von einer Gesamtzahl von 5.000 Todesurteilen aufgrund § 5 KSSVO ausgeht, wären das also rund 3.000 Todesurteile wegen 'Selbstverstümmelung'. Auf 'Kriegsdienstverweigerung' sollen mehr als 1.000 entfallen sein, daher muss für alle übrigen Delikte, die wegen 'Wehrkraftzersetzung ' erfolgten, darunter 'Dienstentziehung', 'zersetzende Reden', 'Abhören feindlicher Sender' usw., noch eine Zahl von rund 1.000 Todesurteilen angenommen werden.234 Für Österreich235 wird die gesamte Anzahl auf 1.000 bis 2.000 Todesurteile geschätzt.236 Die mit Kriegsverlauf anwachsende Zahl der Todesurteile zwang in der Sichtweise der Behörden zu einer Vereinfachung der Verfahren bei Todesurteilen. Das Entscheidungsrecht Hitlers bei Todesurteilen wurde nach Kriegsbeginn in der Weise gewahrt, dass der Reichsjustizminister Otto Thierack237 jeden Monat eine Liste der ergangenen Todesurteile über die Präsidialkanzlei Hitler vorlegte und dessen endgültige Entscheidung abwartete.238 Schließlich wurde auch diese nur noch rudimentäre Beibehaltung des ursprünglichen gesetzlichen Entscheidungsrechts Hitlers über Leben und Tod der Verurteilten so gut wie beseitigt. In einem Schreiben vom 11. November 1944 an den Leiter der Präsidialkanzlei, Staatsminister Meissner, wurde von Otto Thierack239 vorgeschlagen, eine Vereinfachung dieser Praxis vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Reichjustizministeriums habe Hitler nur in wenigen Fällen den Vollzug der Todesstrafe angeordnet, woraus zu schließen sei so seine tendenziöse Auslegung , dass die Gnadenpraxis des Ministeriums den Richtlinien Hitlers voll entspräche, daher könne das Verfahren in der Weise vereinfacht werden, dass die Vorlagepflicht nur in bedeutsamen Fällen erfolgen müsse. Am 15. November 1944 erklärte sich Staatsminister Meissner mit diesem Vorschlag einverstanden. Von diesem Zeitpunkt an mussten nur jene Fälle, in denen Frauen aus den besetzten Gebieten zum Tode verurteilt worden waren, unbedingt vorgelegt werden.240 Die Kategorie Geschlecht machte hier eine wesentliche Differenz aus, Frauen waren qua Geschlechterkonstruktion a…


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