Gefahr für den Wettbewerb?

Gefahr für den Wettbewerb?

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783050042329
Untertitel:
Die Fusionskontrolle der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die "Rekonzentration" der Ruhrstahlindustrie 1950-1963
Genre:
Regional- und Ländergeschichte
Autor:
Tobias Witschke
Herausgeber:
De Gruyter Akademie Forschung
Anzahl Seiten:
383
Erscheinungsdatum:
28.01.2009
ISBN:
978-3-05-004232-9

Seit dem Juli 1952 bildete der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) den rechtlichen Rahmen der europäischen Montanindustrie. In diesem Vertrag hatten die Gründerstaaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande der Hohen Behörde, dem Exekutivorgan der neuen Gemeinschaft, eine Reihe von Regulierungskompetenzen für die Kohle- und Stahlindustrien ihrer Länder übertragen. Wie aus den Vertragsverhandlungen hervorgeht, hatten die Mitgliedstaaten das Ziel, eine Europäische Gemeinschaft zu begründen, in deren Rahmen die Produzentenverbände und die Regierungen der Mitgliedstaaten Entscheidungen über Preis- und Marktentwicklungen koordinieren würden. Erst auf Druck des Franzosen Jean Monnet und der amerikanischen Regierung wurden ein Kartellverbot und die Fusionskontrolle in den Vertrag aufgenommen (Artikel 66). Allerdings stimmten die politisch intendierten Wirkungen der Einführung von Wettbewerbsregeln im EGKS-Vertrag nicht mit dem formellen, rechtlichen Programm des Artikels 66 überein. Vor diesem Hintergrund handelte die Hohe Behörde im Sinne des impliziten Mandats, indem sie die Rekonzentration der Ruhrstahlindustrie legitimierte und sich nicht aktiv dafür einsetzte, eine kohärente Wettbewerbspolitik zu entwickeln. Dass somit die formelle Rechtsordnung des EGKS-Vertrages zu großen Teilen nicht eingehalten wurde, führte gleichwohl nicht zum Scheitern der Integration. Die Weiterentwicklung der Europäischen Integration hing nicht in erster Linie von der Effizienz der formellen supranationalen Regeln ab. Entscheidend war und ist der politische Wille der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit.

Zusammenfassung
"[T]his is an impressive book based on a vast amount of archival sources, [...], thus offering new insights on how European integration impacted on the economies in the member states and what strategies business actors adopted in the face of European anti-trust policy." Katja Seidel in: Francia-Recensio, 2/ 2010 "[Es ist] Witschke gelungen, zu einem nur scheinbar 'ausgeforschten' Bereich der Wirtschaftsgeschichte neue Aspekte und Ergebnisse zu Tage zu fördern." Benjamin Obermüller in: H-Soz-u-Kult, 14.09.2009

Leseprobe
" 2. KAPITEL DIE NEUORDNUNG DER RUHRSTAHLINDUSTRIE UND DER SCHUMANPLAN (S. 81-82)

2.1 Einleitung

Wie im ersten Teil herausgearbeitet wurde, war das Bemühen um eine Aufrechterhaltung der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie nicht die eigentliche Ursache für die Einführung einer Fusionskontrolle in den EGKS-Vertrag. Sie wurde allerdings sehr schnell zum schlagkräftigsten Argument für die Existenzberechtigung einer solchen Regulierung innerhalb der französischen Regierung und der französischen Nationalversammlung.

Aber welchen Zusammenhang gab es zwischen der Neuordnung und dem Schumanplan? Welches Interesse hatte die französische Regierung an der Aufrechterhaltung der Neuordnung? Interessant ist festzustellen, dass in den ersten drei Monaten der Schumanplan-Verhandlungen die Frage der Neuordnung der Stahlindustrie nicht offen zur Sprache kam.

Erst nach Veröffentlichung der Durchführungsanordnung des Gesetzes Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission am 14. September 1950, welche die ‚Liquidierung' der Altkonzerne vorschrieb, argumentierte Adenauer, dass die ganze Entflechtung im Namen der ‚Gleichberechtigung' nicht mit dem Schumanplan zu vereinbaren sei. So erklärte Adenauer erst einmal in der AHK, aber auch im Bundeskabinett, dass die Neuordnung den Schumanplan gefährde. Solange die Ergebnisse der Neuordnung nicht bekannt seien, wollte Adenauer nicht die Schumanplan-Verhandlungen beenden. Interessanterweise wurde diese Einschätzung von Monnet zu diesem Zeitpunkt noch geteilt.

Drei Monate später hatte er allerdings seine Meinung geändert. Solange die Ruhrstahl-Konzerne vertikal mit dem Bergbau und der verarbeitenden Industrie verbunden seien, so hieß es nun in einem Brief an Schuman, könne die französische Industrie nicht mit ‚gleichenWaffen' konkurrieren.4 In der Forschung ist genau dieser Begriff oft wiedergegeben, ohne allerdings näher zu erläutern, worin die Diskriminierung der französischen Seite in einer Eigentumsbindung zwischen Kohle und Stahl in der westdeutschen Montanindustrie bestand. Dann heißt es, dass ohne die "Entflechtungsbestimmungen für die Ruhrindustrie, die Adenauer Mitte März 1951 nach äußerst kritischen Verhandlungen zugestehen musste"", eine "abermalige Übermacht der deutschen Schwerindustrie"" gedroht hätte.6

Tatsächlich waren es gerade die französischen Vertreter in der AHK, die auf ein Ende des Eigentumsbundes zwischen Kohle und Stahl drängten.Diese Auflösung oder zumindest Auflockerung der Eigentumsbindung wird wiederum in der Bundesrepublik immer als eine klare Schädigung der Wettbewerbsfähigkeit oder ‚Diskriminierung' der westdeutschen Stahlindustrie bezeichnet.8 Ganz offensichtlich gehen diese Fragen an den Kern solcher eher abstrakten Begriffe wie ‚Kontrolle', ‚Gleichberechtigung', ‚Diskriminierung', aber auch ‚Übermacht', welche die Beschreibung der Schumanplan-Verhandlungen bzw. die Anfänge der Europäi schen Integration überhaupt – nicht nur in dieser Frage – sowohl in zeitgenössischen Dokumenten als auch in der Historiographie bestimmen.

Hier soll nun dargestellt werden, dass mit dem Prinzip der ‚Gleichberechtigung' des Schumanplans – aber auch mit einer einfachen Übertragung von Kompetenzen an die Hohe Behörde – ein entscheidender Interessengegensatz zwischen der deutschen und der französischen Seite nicht gelöst werden konnte: die Frage des gegenüber der Ruhrstahlindustrie gleichberechtigten Zugangs zur Ruhrkohle für die französische Stahlindustrie.&quo

Inhalt
1;VORWORT;6
2;INHALTSVERZEICHNIS;8
3;EINLEITUNG;12
3.1;I.1 Der Forschungsstand über die Wettbewerbspolitik der Hohen Behörde;17
3.2;I.2 Theoretischer Rahmen der Arbeit und Arbeitsvorgehen;29
4;1. KAPITEL DER URSPRUNG DER FUSIONSKONTROLLE (ARTIKEL 66) IM EGKS-VERTRAG LEX RUHR ODER ERSTES WETTBEWERBSGESETZ IN EUROPA?;42
4.1;1.1 Einleitung;42
4.2;1.2 Wettbewerbsfragen zu Beginn der Schumanplan- Verhandlungen;47
4.3;1.3 Das Eingreifen der Amerikaner in die Schumanplan- Verhandlungen;50
4.4;1.4 Der erste Entwurf einer Fusionskontrolle Vorbild US-Antitrust?;52
4.5;1.5 Die Fusionskontrolle doch eine Lex Ruhr ?;57
4.6;1.6 Der zweite Entwurf der Fusionskontrolle und der Zusammenhang mit der Neuordnung der Ruhrstahlindustrie;59
4.7;1.7 Die Position der Bundesregierung hinsichtlich einer Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag;63
4.8;1.8 Europaweite Widerstände gegen die Einführung der Fusionskontrolle;64
4.9;1.9 Genehmigungspflicht oder Verbotspflicht Auseinandersetzungen über den zukünftigen Handlungsspielraum der Hohen Behörde;66
4.10;1.10 Die Rekonzentration der Ruhrstahlindustrie in der Diskussion um die Fusionskontrolle;69
4.11;1.11 Von der Initiative Monnets zum Artikel 66: Die Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag;71
4.12;1.12 Der Artikel 66 und seine Auslegung in den Ratifikationsdebatten im französischen und westdeutschen Parlament;73
4.13;1.13 Zusammenfassung: Die Fusionskontrolle im EGKS-Vertrag welches Mandat ?;79
5;2. KAPITEL DIE NEUORDNUNG DER RUHRSTAHLINDUSTRIE UND DER SCHUMANPLAN;82
5.1;2.1 Einleitung;82
5.2;2.2 Die Frage der Verbundwirtschaft zu Beginn der Schumanplan- Verhandlungen;84
5.3;2.3 Das große Tabu: Die alliierten Kontrollbefugnisse und der Schumanplan;90
5.4;2.4 Ein Ende des Eigentumsverbundes Kohle/Stahl in der Ruhrstahlindustrie?;93
5.5;2.5 Die Amerikaner und die Verbundwirtschaft;100
5.6;2.6 Der EGKS-Vertrag: Gesi…


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