Wie wird man fremd?

Wie wird man fremd?

Einband:
Paperback
EAN:
9783897714052
Untertitel:
Deutsch
Genre:
Soziologische Theorien
Herausgeber:
Unrast Verlag
Anzahl Seiten:
280
Erscheinungsdatum:
2001
ISBN:
978-3-89771-405-2

Unter den Bedingungen eines hochentwickelten Kapitalismus in den Metropolen, zunehmender Zivilisationsverluste in den Peripherien und weltweiter Migrationsbewegungen zwischen Peripherien und Metropolen ist Der Fremde bis zum Rand gefüllt mit Inhalten und Diskursen. Der Fremde wird zur Zielscheibe rassistischer und antisemitischer Projektionen. Wie wird man fremd? ist die Frage, die die AutorInnen unter Bezugnahme auf die Kritische Theorie, die Psychoanalyse und Theorien posstrukturalistischer Provenienz zu klären versuchen.

Leseprobe
Einleitung jour fixe initiative berlin Wie wird man fremd? Wie wird man fremd? Es ist gar nicht so einfach, auf diese scheinbar banale Frage eine Antwort zu finden. Schaut man sich die Geschichte der Fremden und damit der Fremdenbilder an, dann merkt man recht schnell, dass sich diese Bilder im Laufe der Zeit recht deutlich gewandelt haben. In der Antike, im Mittelalter und noch bis in die frühe Neuzeit hinein galt der Fremde als das unbekannte Wesen, als derjenige, über den man nichts wusste, als dass er einen Bart trug und anders war. Dagegen sammelte sich in der neuesten Zeit ein enormes Wissen über den Fremden an. Der Fremde der bürgerlich-kapitalistischen Moderne wird mehr und mehr in eine rationale Ordnung eingestellt und ist bis zum Rand gefüllt mit Inhalten und Diskursen. Wie also wird man in der Moderne fremd? Seit den bürgerlichen Revolutionen ist fremd, wer nicht zu Staat und Nation gehört. Die entstehenden Nationalstaaten ziehen ihre Grenzen und bestimmen, wer dazu gehört und wer nicht. Die bisherigen persönlichen Zugehörigkeiten werden durch nationale, später durch staatsbürgerliche Zugehörigkeiten ersetzt. Unabhängig davon, ob die Nationen ihre Zugehörigkeiten nach Abstammung oder nach Geburtsort oder, wie in den meisten Fällen, in einer Mischung beider Kriterien bestimmen: Eine Grenzziehung ist obligatorisch, und der Nationalstaat ist auf die Existenz von Fremden angewiesen, damit er weiß, wer die Eigenen sind. Die auf diese Weise Eingeschlossenen sind der Autorität des Nationalstaates unterworfen, profitieren aber auch bis zu einem gewissen Grad von ihm. Immerhin haben sie eine gewisse Chance, ihren Teil vom auf nationaler Basis erzeugten Wohlstand abzubekommen. Weil die Insassen des Nationalstaates von der Grenzziehung profitieren, tragen sie auch dazu bei, diese Grenzen zu errichten und dicht zu halten. Umgekehrt sind die Nationalstaaten darauf angewiesen, dass ihre Grenzen als legitim angesehen werden. Fremder wird man also nicht nur durch die objektiven Zwänge nationaler Staaten und nationaler Ökonomien. Fremd wird man auch durch die Art und Weise, wie sich diese Grenzziehungen in die Individuen und ihr Bewusstsein hinein verlängern. Fremd wird man durch ideologische, psychologische und diskursive Mechanismen. Zwar gab es auch schon in früheren Zeiten Fremdenfeindlichkeit, aber ein wissenschaftlicher Rassismus, der den Menschen erklärt, warum sie anders sind als andere, ist ein Produkt der Aufklärung. Nachdem mit den althergebrachten Gesellschaftsformen auch die religiösen Gewissheiten verloren gegangen waren, mussten sich die Menschen ihrer selbst in einer neuen Umwelt auf eine neue Art versichern. Je prekärer ihre Stellung in der Welt wurde, desto fester mussten die ideologischen Sicherheitsgurte gezurrt werden. Was als fremd definiert wird, lässt Schlüsse zu über das gesellschaftlich Unbewusste, über Ängste, Abgrenzungen und Phobien. Mit Sigmund Freud lassen sich Rassismus und Antisemitismus als individuelle Regressionen und Projektionen deuten. Diese individuellen Mechanismen übersetzen sich in gesellschaftliche Diskurse und Praktiken, weil sie auf einen gesellschaftlichen Zustand reagieren. Und als solche, eben als Rassismus und als Antisemitismus, bestimmen sie diesen gesellschaftlichen Zustand mit. Damit sind auch bereits die Zugänge umrissen, mit denen der Frage 'Wie wird man fremd?' nachgegangen werden kann. Die Kritische Theorie hat nach den Formen der Subjektkonstitution im Spätkapitalismus gefragt, um herauszufinden, was die Menschen zu antisemitischen und rassistischen Projektionen führt. Die Psychoanalyse hat die Mechanismen untersucht, mit denen sich die Menschen ihre Umwelt zurechtlegen. Und die Theorien poststrukturalistischer Provenienz haben zu zeigen versucht, wie sich die rassistischen Projektionen über diskursive Praktiken zu Herrschaft verfestigen. Auch in dieser Hinsicht knüpfen der vorliegende Band und die Vortragsreihe, die er dokumentiert, an die vorhergehenden Reihen über über 'Kritische Theorie und Poststrukturalismus' und über 'Theorie des Faschismus Kritik der Gesellschaft' an. Beide vorhergehenden Bände und auch die weiteren von der jour fixe initiative berlin geplanten Reihen wollen zentrale Fragen kritischer Gesellschaftstheorie von diesen theoretischen Prämissen aus beleuchten. Der vorliegende Band will vor diesem Hintergrund der Frage nachgehen, wie Fremdenbilder heute aussehen, wie sie zustande kommen und welche Funktionen sie erfüllen. Wie wird man heute Fremder? Und was heißt es heute, Fremder zu sein? Heute das bedeutet unter den Bedingungen eines hochentwickelten Kapitalismus in den Metropolen, zunehmender Zivilisationsverluste in den Peripherien und weltweiter Migrationsbewegungen zwischen Peripherien und Metropolen. Da die Länder der nördlichen Hemisphäre ihre Absicht nicht verwirklichen können, diese Einwanderung zu unterbinden, entwickeln sie immer neue Herrschaftspraktiken gegenüber den Migranten. Neue Formen der Abschottung, aber auch der segmentierten Integration nach den Kriterien von Leistung und ökonomischer Verwertbarkeit prägen das Schicksal der Migranten. Zu beiden Zwecken mobilisieren diese Länder den latenten Rassismus ihrer Bevölkerungen. Die offiziellen und halboffiziellen Kampagnen gegen 'Fremdenfeindlichkeit' und 'Rechtsextremismus' tragen ihren Teil zu diesem Zustand bei. Der Rassismus wird hierdurch nicht nur zum gesellschaftlichen Randphänomen erklärt und in seiner staatlichen Form legitimiert. Der Multikulturalismusbegriff hilft entscheidend bei der Durchsetzung ethnischer Zuschreibungen und geht damit bewusst oder unbewusst Allianzen mit den traditionellen völkischen Positionen ein, wie sie schon seit langem in der 'Neuen Rechten' als 'Ethnopluralismus' propagiert werden. Unter diesen Vorzeichen wandelt sich der Diskurs über den Fremden. Nicht nur 'Differenz-Nazis' (Hito Steyerl) hantieren mit proststrukturalistischen Ansätzen und popkulturellen Versatzstücken. Im Zeitalter flexibilisierter Produktionsverhältnisse sind auch die dazugehörigen Ideologien entsprechend modifiziert. Identitäten traditioneller Bauart jedenfalls scheinen zum Wettbewerbsnachteil im globalen Kapitalismus zu werden. Gleichzeitig verfestigen sich aber Vorstellungen von Differenz zur identitären und substantialistischen Ideologie. Solche 'differentialistischen' Identitäten werden gerade bei ausgegrenzten Minderheiten oft auch positiv angenommen und als Ausweg aus der gesellschaftlichen Randposition gesehen. Plurale Identitäten, Hybride, Transgender-Formationen markieren die Suche nach einem 'third space' (Homi Bhabha), von dem aus andere Positionen artikulierbar werden. Kann man sich nur als derjenige wehren, als der man angegriffen wird? Lassen sich Identitäten positiv wenden, subvertieren oder destruieren? Oder bietet nur eine konsequent antiidentitäre Position die Möglichkeit für antirassistische Praxis? Die in diesem Band dokumentierte Vortragsreihe der jour fixe initiative berlin ist diesen Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven nachgegangen. Gemeinsam war den Beiträgen eine paradoxe Beobachtung: Das Fremde ist einerseits das, was, wenn es außen ist, die nationalstaatlich organisierten Gesellschaften zusammenhält, anderseits scheint der Fremde diese Ordnung zu bedrohen, wenn er im Innern auftritt. Das, worüber die Ordnung sich verfestigen…


billigbuch.ch sucht jetzt für Sie die besten Angebote ...

Loading...

Die aktuellen Verkaufspreise von 6 Onlineshops werden in Realtime abgefragt.

Sie können das gewünschte Produkt anschliessend direkt beim Anbieter Ihrer Wahl bestellen.


Feedback