"Auserwählte Opfer?"

"Auserwählte Opfer?"

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783865960030
Untertitel:
Shoah und Porrajmos im Vergleich. Eine Kontroverse
Genre:
Zeitgeschichte (1946 bis 1989)
Autor:
Wolfgang Wippermann
Herausgeber:
Frank und Timme GmbH
Auflage:
2., durchges. Aufl.
Anzahl Seiten:
174
Erscheinungsdatum:
01.01.2005
ISBN:
978-3-86596-003-0

They were not the chosen victims!" - Sie waren nicht die auserwählten Opfer.
Mit diesen Worten beendete der amerikanische Historiker Guenter Lewy seinen Vortrag über die Verfolgung der Sinti und Roma im Dritten Reich", den er am 21. September 2000 im Washingtoner Holocaust-Museum gehalten hat.
Gestützt auf sein ein Jahr zuvor veröffentlichtes Buch über The Nazi Persecution of the Gypsies" vertrat Lewy folgende Thesen: Auserwählte Opfer" seien nur die Juden und nicht die Sinti und Roma gewesen. Im Unterschied zu den Juden seien die Sinti und Roma nicht aus rassistischen Gründen verfolgt worden. Ihre Ermordung sei zudem nicht intendiert gewesen und könne daher nicht einmal als Genozid bezeichnet werden. Alle Vergleiche zwischen der Shoah und dem Massenmord an den Sinti und Roma, der von einigen Roma mit dem Romanes-Wort Porrajmos" bezeichnet wird, seien daher unzulässig.
Mit diesen provozierenden Thesen knüpfte Lewy an eine Kontroverse an, die in den 80er Jahren gewissermaßen an gleicher Stelle über die Frage geführt worden war, ob in dem damals noch geplanten Washingtoner Holocaust-Museum auch der Sinti und Roma gedacht werden sollte oder nicht. Dies war von verschiedenen jüdischen Historikern und einigen Repräsentanten jüdischer Organisationen mit der Begründung abgelehnt worden, daß die Shoah einzigartig sei und daher nicht mit anderen Genoziden, auch nicht mit den von den Nationalsozialisten begangenen verglichen werden könne. Der Nobelpreisträger Elie Wiesel hatte dies mit der folgenden Bemerkung auf den Punkt gebracht: Nicht alle Opfer (= des Nationalsozialismus) waren Juden, doch alle Juden waren Opfer".

Sind die Shoah und der Völkermord an den Sinti und Roma, der in ihrer Sprache, dem Romanes als "Porrajmos" (= das Verschlungene) bezeichnet wird, vergleichbar? Einige in- und ausländische Historiker bestreiten dies. Für sie war die Shoah absolut singulär und gelten die Juden als die "auserwählten Opfer". Andere Historiker verweisen darauf, daß die Sinti und Roma mit gleicher oder vergleichbarer Intention, Motivation und Totalität wie die Juden verfolgt worden sind. Die Kontroverse wird also von beiden Seiten mit sowohl wissenschaftlichen wie (geschichts-)politischen Argumenten geführt. Sie wird in diesem Buch zum ersten Mal in ihrer ganzen Breite nachgezeichnet und bewertet. Das Ergebnis ist klar: Ein Vergleich zwischen beiden Völkermorden ist historisch gerechtfertigt, politisch aber ganz offensichtlich nicht opportun.

Autorentext
Wolfgang Wippermann, geboren 1945 in Bremerhaven. Studium der Geschichte, Germanistik und Politischen Wissenschaft in Göttingen und Marburg. Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin. Gastprofessuren in Innsbruck, Peking, Bloomington, Minneapolis und Durham. Verfasser zahlreicher Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, des Bonapartismus, Faschismus und Totalitarismus sowie besonders des Antisemitismus und Antiziganismus.

Leseprobe
2. Verdrängung und Aufarbeitung (S. 48-49)
2.1 Unfähigkeit zu trauern" Die Verdrängung von Shoah und Porrajmos im Nachkriegsdeutschland
Entgegen vielen nachträglichen Schutzbehauptungen war die nationalsozialistische Judenverfolgung in ihren Grundzügen in Deutschland bekannt. Dies galt selbstverständlich auch für das Ausland. Doch obwohl die Regierungen und auch Medien der westlichen Länder über erstaunlich genaue Kenntnisse über den Juden- und Rassenmord der Nationalsozialisten verfügten, wurden diese Nachrichten, wenn schon nicht bewußt unterdrückt, so doch insgeheim angezweifelt und als weniger wichtig dargestellt. Derartiges wollte kaum jemand wissen". Um so schockierter reagierten vor allem die Soldaten der westalliierten Armeen, als sie bei der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager Berge von Leichen und damit die unumstößlichen Beweise dafür antrafen, daß die Deutschen" nicht nur einen Angriffskrieg vom Zaum gebrochen, sondern ihn zugleich als beispiellosen Rassenkrieg" geführt hatten.
Noch unter dem Eindruck dessen, was sie entweder selber (wie General Eisenhower) miterlebt oder auf Bildern und Filmen gesehen hatten, bereiteten die Sieger des Zweiten Weltkrieges den Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher" vor. Unter Kriegsverbrechen" wurden die Vorbereitung eines Angriffskriegs" und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verstanden. Darunter wurden sehr unterschiedliche Dinge subsumiert. Angefangen von der Erschießung von kriegsgefangenen alliierten Soldaten und andern Verstößen gegen die Haager Landkriegsordnung bis hin zu den Massenmorden an vornehmlich jüdischen Zivilisten hinter der Front und in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Der Holocaust galt als Kriegsverbrechen". Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daß er eine singuläre Bedeutung hatte oder gehabt haben soll, war den alliierten Anklägern und Richtern nicht bewußt.
Der Holocaust stand auch keineswegs im Mittelpunkt des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Dennoch hatten die alliierten Ermittler und Ankläger so viele Dokumente über ihn gesammelt und vorgelegt, daß es zunächst niemand wagte, seine Existenz zu leugnen. Selbst die Angeklagten des Nürnberger und der verschiedenen Nachfolgeprozesse versuchten dies nicht. Allerdings trachteten sie danach, die Verantwortung für die NS-Verbrechen" (worunter keineswegs nur der Holocaust verstanden wurde) von sich auf andere abzuwälzen und mit dem Hinweis auf einen nicht existierenden Befehlsnotstand zu entschuldigen. In diesem Bestreben wurden sie sehr bald von großen Teilen der (west-) deutschen Öffentlichkeit unterstützt, die sich, angeführt von Repräsentanten der Kirchen und der alten Eliten aus Bürokratie, Wirtschaft und Wehrmacht für eine Beendigung der Prozesse und die Begnadigung der schon verurteilten Täter einsetzten. Das Interesse an dem Schicksal der Opfer nahm dagegen sukzessive ab.

Inhalt
1;INHALTSVERZEICHNIS;6
2; Auserwählte Opfer ? Einleitung;8
3;1. Vorgeschichte und Verlauf;14
3.1;1.1 Vom Vorurteil zur Vernichtung Antisemitismus und Antiziganismus von den Anfängen bis zur NS-Zeit;14
3.2;1.2 Artfremden Blutes Die rassistische Diskriminierung und Entrechtung der Juden und Sinti und Roma im Dritten Reich ;27
3.3;1.3 Kein Unterschied Die Verfolgung und Ermordung der Juden und Sinti und Roma während des Zweiten Weltkrieges;38
4;2. Verdrängung und Aufarbeitung;49
4.1;2.1 Unfähigkeit zu trauern Die Verdrängung von Shoah und Porrajmos im Nachkriegsdeutschland;49
4.2;2.2. Wiedergutmachung und wider die Gutmachung. Die rechtliche Ungleichbehandlung von Shoah und Porrajmos;57
4.3;2.3 Kumulative Radikalisierung Die täter- und die opferorientierte Holocaustforschung;65
4.4;2. 4 Unser Recht fordern! Die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma und der Porrajmos;72
4.5;2.5 Vergessener Holocaust Historiker entdecken den Porrajmos;84
5;3. Leugnung und Relativierung;93
5.1;3.1 Hierarchie der Opfer ;93
5.1.1;3.1.1 Zweierlei Untergang ;93
5.1.2;3.1.2 Willige Vollstrecker ;97
5.1.3;3.1.3 Denkmuster des modernen Nationalismus ;100
5.1.4;3.1.4 Pariah-Syndrom ;104
5.1.5;3.1.5 Monumentalisierung der Schande ;108
5.2;3. 2 Nur Zigeuner Shoah und Porrajmos in der neueren Forschung;115
5.2.1;3.2.1 Keine Endlösung ;115
5.2.2;3.2.2 Improvisierte Synthese ;119
5.2.3;3.2.3 Kein Genozid ;124
5.2.4;3.2.4 Exkurs zur Genozidforschung;126
5.2.5;3.2.5 Deckerinnerung ;134
6; Geringste meiner Brüder Zusammenfassung;142
7;QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS;148
7.1;Quellen;148
7.2;Forschungen;153


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