Politische Publizistik

Politische Publizistik

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783608935509
Untertitel:
1919-1933
Genre:
Literatur vor 1945
Autor:
Ernst Jünger
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
2., durchgesehene Aufl. 2013
Anzahl Seiten:
850
Erscheinungsdatum:
09.10.2001
ISBN:
978-3-608-93550-9

Der Band vereinigt erstmals in chronologischer Folge alle 145 zwischen Dezember 1919 und Juli 1933 entstandenen Beiträge Jüngers in Zeitschriften und Sammelbänden, darunter mehrere bislang unbekannte Texte und Rezensionen.



Die vierzehn Jahre der Weimarer Republik sind eine prägende Phase für die Entwicklung Ernst Jüngers (18951998). Der hochdekorierte, desillusionierte Frontoffizier des Ersten Weltkriegs wird rasch zum scharfen Kritiker der herrschenden Verhältnisse. In brillanten und überaus provokativen Essays geißelt der junge Publizist schonungslos die Mißstände in Politik und Gesellschaft und entwickelt dabei die radikale Alternative eines »nationalen, sozialen, wehrhaften und autoritativ gegliederten Staates«. Schon bald gilt Jünger als geistiger Kopf des »neuen Nationalismus« und nimmt eine führende Stellung innerhalb des Kreises der sogenannten Konservativen Revolution ein.

Neben ihrer Bedeutung als zentrale Quelle für die politischen Ideen der Rechten in der Weimarer Republik dokumentieren Jüngers Essays zugleich die enorme geistige und ästhetische Entwicklung des Autors zwischen »In Stahlgewittern« und seinen großen Werken der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, »Das abenteuerliche Herz« und »Der Arbeiter«. Nicht zuletzt aufgrund dieser Beiträge wird auch die Debatte um Ernst Jünger weiter andauern.

»Erst der politische Extremismus und der publizistische Aktionismus haben Jünger einem größeren Publikum bekannt gemacht, [...] weil sein Stil so luzide, so unvergleichlich hochmütig und verführerisch ist.« Paul Noack: Ernst Jünger. Eine Biographie, 1998

Autorentext
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 19011912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 19141918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 19191923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 19361938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 19391941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 19461947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 19661981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Leseprobe
Die Materialschlacht

Der Stahlhelm, 18. Januar 1925

Die Geschichte des Krieges schreitet fort mit der der Völker; alle Ausdrucksmöglichkeiten einer Kultur werden hier in eine düstere, heroische Sprache übersetzt. Jeder friedliche Fortschritt stellt zugleich eine kriegerische Möglichkeit dar, der Stil einer Epoche offenbart sich in einer Schlacht ebenso klar, wie in einem Kunstwerk oder in dem Gesicht einer Stadt. Daher ist kein Krieg wie der andere, in jedem wird in neuen Formen und mit neuen Mitteln um neue Ziele gekämpft, und in jedem tritt ein neuer Menschenschlag auf die blutige Bühne des Geschehens.
So stellte sich auch im letzten Kriege ein für den verhältnismäßig kurzen Zeitabstand ungeheurer Unterschied zwischen der Struktur unserer Zeit und der unserer Großväter heraus, die 1870 zu Felde zogen. Im Aufmarsch hochentwickelter Industriestaaten gegeneinander wurden die Heere und ihre Machtmittel massenhafter und intensiver zugleich, der Wettlauf von Produktion, Organisation und differenzierter Arbeitsteilung wurde auf den Kampf übertragen, und so bildete sich die Form der Materialschlacht heraus, die für diesen Krieg typisch ist, und die in ihrer Eigenart vielleicht nie wieder in die Erscheinung treten wird. Denn der Siegeszug der Maschine war ein so überraschender und explosionsartiger, daß die eigene Schöpfung über den Menschen hinauswuchs, der ihr gegenüberstand wie der Zauberlehrling, der die durch ihn selbst in Bewegung gesetzten Kräfte nicht mehr zu bändigen weiß. Wie im Frieden die Maschine die wirtschaftlichen, sozialen und staatlichen Bindungen und Schichtungen verändert und weite Gebiete der Kultur verwüstete, ohne daß man diesen Wirkungen Einhalt zu tun wußte, so schuf sie auch im Kriege eine Form der Schlacht, die den Menschen unter seinen eigenen Mitteln zu erdrücken schien, und ein Gefühl der Sinnlosigkeit in seiner Seele hervorrief, von dem wohl jeder alte Materialkämpfer zu berichten weiß. Und wie die Fabrik das Handwerk und seine Eigenart zu vernichten drohte, so schien auch in einer irrsinnigen Flut des Materials alles Glänzende und Heldische zu versinken, das einem gesunden männlichen Gefühl von jeher den Kampf als eine stolze Probe der Kraft und als die prächtigste Äußerung des Lebens einer unmittelbaren Vernichtung gegenüber erscheinen ließ. Denn überall. wo die Masse mit ihren Mitteln auftritt, verlieren die besonderen Gefühle an Wert, und in der Materialschlacht ist die Ritterlichkeit ebensowenig mehr zu Haus wie die Romantik im maschinenmäßig geebneten Gewühl einer modernen großen Stadt.
Die Entfaltung von Masse und Material trat nicht gleich zu Anfang des Krieges hervor. In den ersten großen Bewegungsschlachten gab die Maschine noch nicht den Ausschlag. Erst als die Staaten ihre volle Kraft in das große Unternehmen gesteckt hatten, erst als man zu erkennen begann, daß nicht zwei bis drei große Entscheidungsschläge, sondern eine systematische Verwendung und Ausbeutung der vorhandenen Energien mit Zielen auf weite Sicht zum Siege führen konnte, bekam die Schlacht ihr neues und eigenartiges Gepräge. Erst als man begann, die großen Programme aufzustellen, alle Kräfte und Einrichtungen des Staates untereinander zum Endzweck der Gewalt zu verzahnen, trat die besondere Art, in welcher der moderne Mensch an den Orten des blutigen Austrages auftritt, klar hervor. Sie deutete sich an in der wütenden Offensive auf Verdun und wurde historisch in den unvergeßlichen Kämpfen an der Somme.
Auf diesen Feldern, auf denen sich hunderttausende von jungen, ausgesuchten Männern begegneten, hinter denen der ganze verzweigte Apparat moderner Großstaaten fieberhaft arbeitete, zeigte sich, daß der Mensch der Maschine noch nicht gewachsen war. Keiner von jenen Männern und fast jeder alte Frontsoldat zählt zu ihrer Schar wird je den Eindruck vergessen, mit dem die Erlebnisse dieser Zeit die Seele belasteten. Schon der erste Anmarsch gegen die weithin sichtbaren Feuerwände, gegen ein Getöse, das mit jedem Schritte vernichtender wurde, rief die zweifelnde Frage wach, wie es überhaupt möglich wäre, daß in diesem höllischen Tumult ein lebendes Wesen existieren könnte. Und dann, während eines wochenlangen Aufenthaltes in einem Gelände, dessen Verwüstung alle Schrecken übertraf, die die zügelloseste Phantasie ersinnen konnte, wurde es jedem klar, daß er inmitten einer Landschaft stand, die die Welt noch nie gesehen hatte und wohl auch nie wieder sehen würde. Diese Landschaft war von einer Eintönigkeit, wie sie nur die Maschine hervorbringen kann, hier hatte dieselbe Kraft, welche die unendlichen, mit Motorpflügen bestellten Weizenfelder Nordamerikas und die grauen Fabrikstädte der Steinkohlenbezirke hervorgebracht hatte, ihre Übersetzung in die mechanische Vernichtung erfahren. Und jeder junge Mensch, der mit großen und farbigen Vorstellungen hinausgezogen war, erkannte in dieser Umgebung, daß er selbst diesem Prinzip unterworfen war. In diesem Chaos verschwand die kühne Einzeltat, hier wurde das Leben durch immer neue und wütendere Feuerstürme gesiebt und wieder gesiebt und das Überlebende durch brutale Einbrüche hundertfach überlegener Massen über…


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