Die Einöde und ihr Prophet

Die Einöde und ihr Prophet

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783608934069
Untertitel:
Über Menschen und Bilder
Genre:
Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Autor:
Brigitte Kronauer
Herausgeber:
Klett-Cotta Literatur
Auflage:
1996
Anzahl Seiten:
243
Erscheinungsdatum:
1996
ISBN:
978-3-608-93406-9

Rettungen ins Eigene, die sich "am Schnittpunkt von Sonder- und Normalfall" vollziehen, in Augenblicken scheinbarer Selbstvergessenheit, in der Ernüchterung durch Kränkung und Schmerz, im Wagemut des Alters oder im Vorschein des Todes: um sie geht es in den Menschenporträts dieses Bandes, geht es in den Bildwerken von Pieter Brueghel d.Ä., Christa Biederbick, Geertgen tot Sint Jans, John Constable, Philips Wouverman, Dieter Asmus, Matthias Grünewald und Franz Xaver Messerschmidt, die Brigitte Kronauer als "Denkmal des Individuums" erkennt, als hintersinnige Behauptungen einer Menschenwürde, die sich flüchtiger Betrachtung stolz verschließt.


Autorentext
Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebte als freie Schriftstellerin in Hamburg. Ihr schriftstellerisches Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich-Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Jean-Paul-Preis ausgezeichnet. 2005 wurde ihr von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Büchner-Preis verliehen. Brigitte Kronauer verstarb im Juli 2019.

Leseprobe
Frau Melanie, Frau Martha und Frau Gertrud "Nachtwächterlieder hör ich singen /
dazwischen Nachtigallenlaut"
(Heinrich Heine: Anno 1839) Drüben die Frau, in rotem, feuerwehrroten Kostüm setzt sie Fuß vor Fuß, mühsam, aber man soll es nicht merken. Wäre die Straße nicht so menschenleer, würde sie sich vielleicht noch stärker zusammenreißen. Vielleicht tut sie es ohnehin jedesmal, wenn ein Auto vorüberfährt. Am Schnitt der weißen Haare, am herrischen Doppelkinn erkenne ich, daß es sich um Frau Melanie Grawe handelt, was mir sogleich einen Stich versetzt. Da muß ich auch schon an Frau Martha Pade denken, die, lebte sie noch, sogar einige Jahre älter wäre. Was flüsterte sie immer vor sich hin? Ein Aufseufzen, das aus fünf bis sechs Wörtern bestand, die ich aus der Ferne wieder undeutlich höre, während die Frau dort drüben, Melanie Grawe, in großer Charakterstärke gegen ein Körperhindernis angeht und dabei auch vorankommt. Frau Grawe, mein Gefühl trügt mich sicher nicht, benutzt noch immer, genau wie es Frau Pade tat bis zu ihrem Tod, einen Lippenstift, der allerdings nur noch vage die Konturen des Mundes, vielmehr dessen ungefähre Position beim Lächeln angibt. Wie Frau Gertrud Ritter, die eigentlich insgeheim dazugehört, ich glaube, als dritte im Bunde dabei sein will, ohne es zu ahnen.


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