Koloniale Verhandlungen

Koloniale Verhandlungen

Einband:
Paperback
EAN:
9783593396392
Untertitel:
Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Herrschaft in Kamerun 1884-1916
Genre:
Regional- und Ländergeschichte
Autor:
Ulrike Schaper
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 05.2012
Anzahl Seiten:
446
Erscheinungsdatum:
31.05.2012
ISBN:
978-3-593-39639-2

Zu den Aufgaben der deutschen Kolonialbeamten gehörte die Gerichtsbarkeit über die kolonisierte Bevölkerung. Ulrike Schaper betrachtet die Rechtsverhältnisse der deutschen Kolonie Kamerun erstmals in ihren kulturellen, politischen und sozialen Zusammenhängen. Sie zeigt die Bedingungen und Probleme bei der alltäglichen Umsetzung kolonialer Herrschaft sowie deren Auswirkungen auf die Bevölkerung. Dadurch macht sie deutlich, dass Recht nicht nur ein Unterdrückungsinstrument war. Denn zugleich bot es der kolonisierten Bevölkerung auch Möglichkeiten, die Kolonialmacht herauszufordern, und eröffnete ihr neue Handlungsspielräume.

»[] überaus informativ und sehr gut lesbar []« Harald Sippel, Journal der juristischen Zeitgeschichte (JoJZG), 11.12.2017

Autorentext
Ulrike Schaper, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin.

Klappentext
Zu den Aufgaben der deutschen Kolonialbeamten gehörte die Gerichtsbarkeit über die kolonisierte Bevölkerung. Ulrike Schaper betrachtet die Rechtsverhältnisse der deutschen Kolonie Kamerun erstmals in ihren kulturellen, politischen und sozialen Zusammenhängen. Sie zeigt die Bedingungen und Probleme bei der alltäglichen Umsetzung kolonialer Herrschaft sowie deren Auswirkungen auf die Bevölkerung. Dadurch macht sie deutlich, dass Recht nicht nur ein Unterdrückungsinstrument war. Denn zugleich bot es der kolonisierten Bevölkerung auch Möglichkeiten, die Kolonialmacht herauszufordern, und eröffnete ihr neue Handlungsspielräume.

Zusammenfassung
"[...] überaus informativ und sehr gut lesbar [...]" Harald Sippel, Journal der juristischen Zeitgeschichte (JoJZG), 11.12.2017

Leseprobe
Einleitung "Zwischen zwei Dörfern des schönen Ländchens Dibombari schwebte seit langem ein Grenzstreit. Ich hatte zunächst den Präses der Basler Mission, den alten und um die Dualas hochverdienten Missionar Bohner gebeten, den Streit im Vergleichswege zu regeln. Allein der gegenseitige Groll saß zu tief, und schließlich musste ich in der Sache doch einen Termin ansetzen. Ich bat Herrn Bohner, bei der Verhandlung zugegen zu sein. Die Sache ging ganz gut, ich entschied zugunsten des einen Dorfes, dessen Häuptling, ein alter, freundlicher Mann, mir einen besonders guten Eindruck gemacht hatte. Schweigend hörten beide Parteien, die in Masse erschienen waren, das weise Urteil mit Gründen an. Kaum aber hatte sich die Gerichtshalle geleert, als sich draußen ein gewaltiges Geschrei und eine wilde Rauferei erhob. Der Polizeisoldat, der den Dienst im Gerichtssaal hatte, stürzte sich mutig unter die Kämpfenden und suchte Frieden zu stiften. Als auch wir, die Weißen, hinausstürzten, lief alles davon. Nur der Sieger im Prozeß, der alte Häuptling, lehnte halb ohnmächtig, aus einer Kopfwunde blutend, an der Wand des Palaverhauses, und der Vertreter der bewaffneten Macht stand in kläglichem Zustande vor mir. Das Gesicht zerkratzt, die schöne rote Leibbinde zerrissen, ohne Fez und Seitengewehr - beide waren ihm weggenommen -, war er ein trauriges Opfer seines Pflichtgefühls. Ich ließ den Alten verbinden, gab dem Soldaten ein Schmerzensgeld und bat Herrn Bohner, noch einmal sein Glück mit Vergleichsverhandlungen zu versuchen, da es mir doch zweifelhaft erschien, ob ich mit meinem Richterspruch das Richtige getroffen hätte. Und dieses Mal hatte der Missionar mehr Glück als der Richter." Dieser Bericht aus den 1890er Jahren wirft ein Schlaglicht auf die Probleme, mit denen die deutsche Kolonialverwaltung bei der Ausübung der Gerichtsbarkeit über die afrikanische Bevölkerung Kameruns konfrontiert war. Theodor Seitz, der von 1907 bis 1910 Gouverneur von Kamerun war, schilderte diesen Fall aus seiner früheren Zeit als Regierungsrat beim Gouvernement in seinen publizierten Erinnerungen. Zunächst fällt auf, dass Seitz als Repräsentant des kolonialen Staates anfangs nicht beanspruchte, den Rechtsstreit zu schlichten, sondern stattdessen einen Missionar beauftragte. Erst als dessen Schlichtungsversuch misslang, setzte er einen Gerichtstermin an. Seitz gibt nur einen kurzen Hinweis auf die Gründe für seinen Richtspruch: seinen guten Eindruck von dem freundlich wirkenden "Häuptling". Diese Passage mag exemplarisch dafür stehen, wie willkürlich die Kolonialbeamten in Gerichtsverhandlungen entscheiden konnten. Seitz selbst zweifelte schon kurz nach seiner Entscheidung, "ob er mit [s]einem Richtspruch das Richtige getroffen" habe. Häufig hatten die Beamten nur geringe Kenntnisse der Tatbestände und der lokalen Rechtsgewohnheiten und auch für die Anwendung von deutschem Recht waren die meisten nicht juristisch ausgebildet. Dennoch fiel ihnen die Aufgabe zu, in ihrer Arbeit zwischen diesen unterschiedlichen Rechtsordnungen zu vermitteln. So konnte es vorkommen, dass sie wie Seitz nach Sympathie entschieden oder sich auf die Informationen ihrer afrikanischen Berater verließen. Der Fall ist weiter ein Beispiel dafür, dass den Kolonialbeamten oft die Macht fehlte, ihre Entscheidung durchzusetzen. Der durch Seitz in seinem Anspruch bestätigte Mann wurde, kaum dass er das Gerichtsgebäude verlassen hatte, von seinen Kontrahenten angegriffen. Auch der Polizeisoldat als Vertreter der staatlichen Macht konnte dagegen nichts ausrichten. Der Prozesssieger, der blutend an der Wand lehnte, sowie der seiner Zeichen der Vertretungsmacht beraubte Repräsentant der kolonialstaatlichen Ordnung stehen somit symbolisch für die geringe Durchsetzungskraft der Kolonialverwaltung und des kolonialen Rechts. Zwar ergriffen die Männer, die das Urteil nicht akzeptierten, die Flucht, sobald die Europäer aus dem Gerichtssaal gerannt kamen. Der Konflikt war aber durch das Urteil des Kolonialbeamten keineswegs gelöst. Letztendlich übergab der Kolonialbeamte den Streit wiederum dem Missionar, dem die Einigung der beiden Parteien gelang. Gegenstand und Fragestellung Für die Deutschen war der Anspruch, die Gerichtsbarkeit über die kolonisierte Bevölkerung auszuüben, zentraler Bestandteil ihrer Herrschaft über Kamerun. Normsetzung und Gerichtsbarkeit waren Kernaufgaben des modernen Staates, an dessen Herrschaftsorganisation sich die Deutschen für die Beherrschung ihrer Kolonien orientierten. Allerdings blieben Konflikte zwischen Kolonialverwaltung und afrikanischer Bevölkerung, die sich aus der Übernahme der Gerichtsbarkeit und den Eingriffen in die lokalen Rechtsverhältnisse ergaben, nicht aus. Und trotz der Überzeugung deutscher Kolonialpolitiker, dass die Ausübung der Gerichtsbarkeit über die afrikanische Bevölkerung für die politische Kontrolle von fundamentaler Bedeutung war, gab es anfangs zudem auch keine Konzepte für die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse in den erworbenen Kolonien. Konkrete Auffassungen, wie die Gerichtsbarkeit organisiert werden sollte, welches Recht den Entscheidungen zugrunde liegen müsste und inwieweit die Kolonialregierung dabei bestehendes Recht zu berücksichtigen hatte, entwickelten sich erst im Laufe der Zeit. Die sich dabei herausbildende Rechtsordnung war im deutschen Kolonialreich durch eine duale Struktur gekennzeichnet, die ähnlich auch die Rechtsordnungen anderer europäischer Kolonialmächte in Afrika bestimmte: Deutsche Reichsgesetze galten in den Kolonien nur für Europäer und Europäerinnen, die afrikanische Bevölkerung blieb von diesem Recht ausgeschlossen. Für sie galt das sogenannte "Eingeborenenrecht", das aus den für die Kolonien erlassenen Verordnungen sowie dem afrikanischen Recht bestand. Die Rechtsverhältnisse in der Kolonie Kamerun waren geprägt von einer grundlegenden Spannung: Der zentralen Bedeutung von Recht im modernen Staat sowie dem Anspruch der Kolonialmacht, Normsetzung und Gerichtsbarkeit als Ausweis moderner Staatlichkeit in ihren Kolonien durchzusetzen, stand die Tatsache gegenüber, dass den Deutschen genau dafür …


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