Hugenotten in Europa und Nordamerika

Hugenotten in Europa und Nordamerika

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593391779
Untertitel:
Migration und Integration in der Frühen Neuzeit
Genre:
Neuzeit bis 1918
Autor:
Susanne Lachenicht
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 08.2010
Anzahl Seiten:
563
Erscheinungsdatum:
2010
ISBN:
978-3-593-39177-9

Tausende Hugenotten flüchteten im 16. und späten 17. Jahrhundert vor der Verfolgung in Frankreich. Susanne Lachenicht untersucht für Brandenburg-Preußen, England, Irland und die englischen Kolonien die Asyl- und Aufnahmepolitik frühneuzeitlicher Staaten und die Integration der "Franzosen" in der neuen Heimat. Ihre Ergebnisse liefern interessante Anstöße für die aktuelle Debatte um das notwendige Maß an Integration und um die Grenzen von Diversität und Multikulturalität.

Autorentext
Susanne Lachenicht ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bayreuth.

Klappentext
Tausende Hugenotten flüchteten im 16. und späten 17. Jahrhundert vor der Verfolgung in Frankreich. Susanne Lachenicht untersucht für Brandenburg-Preußen, England, Irland und die englischen Kolonien die Asyl- und Aufnahmepolitik frühneuzeitlicher Staaten und die Integration der "Franzosen" in der neuen Heimat. Ihre Ergebnisse liefern interessante Anstöße für die aktuelle Debatte um das notwendige Maß an Integration und um die Grenzen von Diversität und Multikulturalität.

Leseprobe
2. Assimilierung - ein Erfolgsmodell? Immigranten sind in der Forschung immer wieder als "service agents" beschrieben worden, "filling the cracks and crannies between the great civilizations with which it is preoccupied". Diasporen sind in ihrem typischen Beharren in ihren in die Aufnahmeländer importierten Identitäten dabei "fossile societies", die aber wiederum innerhalb der Aufnahmegesellschaften durch ihre Andersartigkeit innovatorischen Charakter haben oder aber allein durch den Wettbewerb und die Konkurrenz, die sie erzeugen, auf Wirtschaft, Politik und Kultur stimulierend wirken können. Trotz Formen von Segregation und Exklusion oder "self-isolation" sind Diasporagesellschaften in unterschiedlichem Maß durch Kontakte mit anderen Minoritäten oder Majoritäten Akkulturations- und Integrationsprozessen unterworfen, die zu gegenseitiger Akkulturation, Transferleistungen, Integration und Assimilierung, das heißt einer sukzessiven Veränderung ihrer Identitäten und zur Auflösung der Diaspora selbst führen können, wie auch das Beispiel der Réfugiés in den hier untersuchten Aufnahmestaaten gezeigt hat. Akkulturation und Integration sind jedoch nicht - auch nicht im Fall der Hugenotten - Prozesse, die allein von der majoritären Gruppe initiiert werden, sondern auch von der minoritären Gruppe selbst, auch wenn in der Diasporaforschung vor allem die dominante Gruppe als impulsgebend und verändernd, nicht als verändert beschrieben wird. Vor allem, wenn Diasporagruppen in meinungsbildenden Öffentlichkeiten als kulturell überlegen oder wirtschaftlich innovativ angesehen werden, kann die Akkulturation und Integration auch umgekehrt von der majoritären Gruppe zur minoritären hin verlaufen, wie das Beispiel der bürgerlichen und adligen Eliten - nicht nur in Brandenburg-Preußen - und der Hugenotten in Handel und Wirtschaft der Aufnahmestaaten suggeriert. Akkulturation, Transferleistungen, wirtschaftlichen und kulturellen Impetus zu messen, also den "Wert" von Immigranten(-gruppen) objektiv zu bestimmen, erweist sich dabei jedoch als schwierig. Für Immigranten und ihre Akzeptanz durch die Aufnahmegesellschaften sind nicht nur die Transferleistungen und ihr wirtschaftlicher oder kultureller Impetus oder der Grad ihrer Integration und Assimlierung relevant, sondern die Wahrnehmung ihres Wertes für die Aufnahmegesellschaften, der durch den Zugang zu Medien und die Beeinflussung von öffentlichen Meinungen von den Immigranten selbst mit steuerbar ist. Wie die vorigen Kapitel gezeigt haben, gibt es in der Frühen Neuzeit unterschiedliche Konzepte dessen, wie sich Immigranten im Aufnahmeland verhalten sollten, sowohl auf Seiten der mobilen Gruppen als auch auf Seiten der Regierungen und Gesellschaft des Aufnahmestaates. Während in Brandenburg-Preußen Diversität durch die Ansiedlung der Réfugiés staatlich privilegiert und gefördert wurde, war sie nominell in England, Irland und den englischen Kolonien in Nordamerika in Sachen Religion und nationale Loyalitäten unerwünscht. Im Bereich Wirtschaft wurde die "Andersartigkeit" der Réfugiés jedoch auch hier als potenzielle Bereicherung angesehen. Auf der Basis der bislang ausgewerteten und bekannten Quellen förderten die Eliten der Réfugiés mehrheitlich die Bewahrung der "ursprünglichen Identität", der Andersartigkeit oder Diversität, des Corps de Refuge, nicht nur in Brandenburg-Preußen, sondern auch in Irland, England und den englischen Kolonien, selbst wenn dies mit Loyalitätskonflikten verbunden war. Aus Sicht einer Diasporagruppe heißt erfolgreiche Identitätsstiftung, dass "nationale" Narrative oder Identitäten von geistlichen oder geistigen Führern einer Diasporagruppe so konstruiert und immer wieder an neue Situationen adaptiert werden müssen, dass sie einzelnen Individuen und der Gruppe insgesamt Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen der Gesellschaft verschaffen, also innerhalb des Aufnahmestaates agieren. Gleichzeitig müssen zur Aufrechterhaltung der Gruppenidentität jedoch auch "internationale" Netzwerke und Identitäten geschaffen und konserviert werden, die den Zusammenhalt der Gruppe und Zugang zu überstaatlich organisierten Ressourcen garantieren. Hybridität bzw. multiple, den jeweiligen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontexten angepasste Konstruktionen von Identität gehören damit zu den elementaren Grundlagen des Überlebens einer Diaspora. Dort, wo diese hybriden, multiplen Identitäten bei gleichzeitiger Wahrung der Kohäsion der Gruppe von ihren Eliten, den "gatekeepers", nicht mehr garantiert werden können, wo die Distanz der Mehrheit der Gruppe zu der Aufnahmegesellschaft aus wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder politischen Gründen stark abnimmt, kommt es nicht mehr nur zu Akkulturation und Integration, sondern zur Assimilierung und damit zur Auflösung der Diaspora. Im Fall der Réfugiés heißt erfolgreiche Immigration und Integration neben dem schwer genau zu definierenden Stimulus und Impetus, den sie in die Aufnahmeländer neben anfänglicher Armut und Hilfsbedürftigkeit mitbrachten, dass es einer Gruppe in der Diaspora, die sich selbst zunächst als Auserwählte und allen anderen Ethnien und Religionsgemeinschaften überlegen definierte, gelang, den Mythos ihrer Auserwähltheit den Bedürfnissen der Aufnahmeländer anzupassen und, mutatits mutandis, dabei Erwartungen und Klischees politisch, kulturell oder wirtschaftlich dominanter Gruppen im Aufnahmestaat zu bedienen. Während die Historiographie etlicher deutscher Staaten die Legende der separaten Nation der Réfugiés und den Erhalt ihrer Idenität in ihrer Separierung als positiv wertete, wurde in England das ebenso wenig historisch korrekte Klischee ihrer schnellen Assimilierung kultiviert, da dies anscheinend den Interessen dieses Aufnahmelandes entsprach. Besonders in Brandenburg-Preußen und in einigen Bundesstaaten der USA, wie in South Carolina, amalgamierten sich die "Tugenden der Réfugiés" erfolgreich mit den Narrativen der nationalen Tugenden des Amerikaners bzw. Deutschen. Probleme im Kontakt mit den Regierungen oder der Gesellschaft der Aufnahmestaaten, Loyalitätskonflikte, Wirtschaftskrisen und Ähnliches wurden sukzessive aus der Geschichtsschreibung getilgt. Dies geschah im Fall der Réfugiés nicht zum Zeitpunkt der Einwanderung selbst - eine Ausnahme stellt hier phasenweise der Hohenzollernstaat dar (unter Kurfürst Friedrich Wilhelm und König Friedrich II.) -, sondern dann, als Auflösungserscheinungen neue Narrative für Gruppenidentität und ihren Stellenwert innerhalb der Aufnahmegesellschaften notwendig machten. Die Fähigkeit, die eigenen Legenden und selbst geschaffenen Mythen in die Narrative der Nationalhistoriographie …


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