Grenzregionen

Grenzregionen

Einband:
Paperback
EAN:
9783593384481
Untertitel:
Ein europäischer Vergleich vom 18. bis 20. Jahrhundert
Genre:
Geschichts-Lexika
Herausgeber:
Campus
Auflage:
1. Aufl. 10.2007
Anzahl Seiten:
365
Erscheinungsdatum:
31.10.2007
ISBN:
978-3-593-38448-1

Grenzen im »langen« 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert gilt als Jahrhundert des Nationalismus. Waren bis dahin Räume vor allem durch Konfession, Sprache oder gemeinsame Kultur gebildet worden, erfolgte nun die Konzeption linearer nationaler Grenzen. An Beispielen aus West- und Osteuropa wird in diesem Band gezeigt, wie solche Grenzen erfunden wurden, wie die betroffenen Bevölkerungen sich damit arrangierten oder auch identifizierten und wie durch Grenzen Fremdheit entstand, aber auch Kontrolle ermöglicht wurde.

Vorwort
Grenzen im »langen« 19. Jahrhundert

Autorentext
Christophe Duhamelle, Dr. habil., ist Direktor der Mission Historique Française in Göttingen. Andreas Kossert, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau. Bernhard Struck, Dr. phil., ist Lecturer in Modern History an der University of St. Andrews.

Leseprobe
Erstens läuft nicht nur durch den ganzen Band, sondern auch oft durch einzelne Beiträge eine Grenztypologie. Diese lädt dazu ein, die unterschiedlichen Typen nicht gegeneinander, zum Beispiel als Sieg der "nationalen" Grenze, sondern vielmehr in ihren Wechselwirkungen zu erfassen. Die Sprach- und Kulturgrenzen, die militärischen und politischen, die inneren und äußeren Grenzen, die wirtschaftlichen, konfessionellen, kulturellen Grenzen und endlich die sozial unterschiedlichen Wahrnehmungen der Grenzen spielen in den einzelnen Fallbeispielen verschiedene Rollen. In einigen Fällen bilden sie Gegensätze, teils verstärken sie sich gegenseitig. Der zentrale Punkt besteht jedoch darin, dass die Grenze in den meisten Fällen nur durch ihre wechselnden Interaktionen zu verstehen ist, ohne dass eine eindeutige und allgemeine Hierarchie festzustellen wäre. Dass Grenzen zumeist Konstruktionen sind, was nicht bedeutet, dass sie "künstlich" sind, sondern dass sie stets erneut erlebt und aktualisiert werden, wird in vielen Beiträgen unterstrichen. Das trifft auch auf die "natürlichen" Grenzen zu, sei es der trennende Rhein im französischen Diskurs der Revolution (Küntzel) oder die verbindende Donau im Werk des Historikers Palacký (Baár). Konfessionelle Grenzen bieten ein gutes Beispiel dieser Plastizität: Sie bestimmen unterschiedliche Vorstellungen des Raums und seines Namens im Baltikum (Hirschhausen), verstärken die nationale Alterität und die unsichtbaren Grenzen innerhalb des selben politischen Raums in Lothringen (Schlesier), werden zum trennenden Kriterium zwischen "West" und "Ost" auf der Krim (Jobst) und zum ersten vernehmbaren Merkmal der zwischenstaatlichen Grenze im Falle Böhmens, während die Sprachgrenze erst Kilometer nach dem Passieren der Grenze wahrgenommen wird (Krocová). Zweitens heben die Beiträge dieses Bandes die große Vielfalt der Akteure hervor, die an der Gestaltung, Deutung und gegebenenfalls Relativierung von Grenzen teilnehmen. Der Terminus "Akteure" ist vage und könnte zu einer Dichotomie zwischen "dem Staat" und "den Akteuren" führen. Eine weitaus nuanciertere Auffassung ist jedoch notwendig. Der Staat, das Zentrum, bildet keinen Monolith. Zwischenstaatliche Wissenstransfers bestimmen den Grenzdiskurs (Donert), innerstaatliche Konflikte drücken sich in Grenzkonflikten aus (Bavaj) und verschiedene Behörden, je nach dem Ort und den zu lösenden konkreten Fragen, gewähren Ausnahmen von Grenzregelungen (Küntzel). Dasselbe gilt für die Handelnden vor Ort: Die soziale Zugehörigkeit übt einen großen Einfluss aus, nicht nur über den Umgang mit der Grenze, sondern auch über die Grenze selbst, ihre Definition, ihre Interpretation. Der Protest der Flensburger Arbeiter zum Beispiel wendet sich von einem nationalen zu einem politischen Ausdruck (Klatt) und der Adel in Litauen oder in Bessarabien pflegt über die Grenzen des "nationalen" Raums ganz andere Vorstellungen als andere soziale Gruppen (Hirschhausen, Schulz). Drei personelle und institutionelle Akteursgruppen gewinnen gerade im 19. Jahrhundert einen entscheidenden Einfluss. Erstens besetzen Vereine und Gruppen eine nicht zu unterschätzende Funktion im Grenzdiskurs, zum Beispiel für die Errichtung von Festungen in Schweden (Rodell). Zweitens spielen Zeitschriften eine wachsende Rolle. Eine von ihnen trägt wesentlich dazu bei, die Bezeichnung "baltisch" zu verbreiten (Hirschhausen), andere plädieren für eine volkskundliche deutsche Identität des Egerlands (Krzoska). Drittens übernehmen Historiker eine Hauptrolle in der Legitimierung oder Infragesetzung der Grenzen. Drei Beiträge eröffnen einen Einblick in die Bemühungen von Historikern, die Grenzen ihres neuen oder in die Zukunft projizierten Staats (Baár, Schulz) oder innerstaatliche Grenzen (Bavaj) zu definieren und zu erweitern. Bei Schulz wird darüber hinaus sichtbar, dass nicht nur die "nationale" Historiographie, sondern auch die marxistische Historiographie ihre Argumentation als Mittel zu diesem Zweck einsetzen konnte. Ein dritter roter Faden durch die Beiträge führt zu den konkreten Artefakten und symbolischen Handlungen, die Grenzen veranschaulichen. Die Grenze wird unter anderem singend symbolisiert und erfunden - die Entwicklung desselben Lieds zeigt den Aufstieg des Begriffs "Latvija" zuungunsten des Begriffs "Baltija" (Hirschhausen) - und im Gesang wird auch das Gefecht an der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland ausgetragen (Riederer). Grenzpfähle beeinflussen die Wahrnehmung der Grenze (Krocová), sind aber auch Ziele der symbolischen Widerstandshandlungen gegen die Grenze (Schlesier). Uniformen, Fahnen (Rodell), sorgfältig gesetzte Grenzsteine (Rodell, Riederer) gehören ebenfalls zum reichen symbolischen Wortschatz der Grenze. In einigen Fällen gewinnen unerwartete Symbole eine große Rolle. Da die neuen Ladenschilder in Lothringen auf Deutsch verfasst werden müssen, werden die alten französischen Schilder, die einfach nicht ersetzt werden, zum stillen Widerstand gegen die neue Grenze (Schlesier). Die Kamele gelten auf der Krim in vielen Texten als die wahren Merkmale der inneren Grenze zwischen "West" und "Ost" (Jobst). Karten sind ebenfalls Artefakte, die zur Erfindung der Grenze beitragen, auch wenn sie demonstrativ als objektiv-wissenschaftlich vorgestellt werden (Bavaj). Auch die Klassifizierungen, die entweder bei Bevölkerungsübersichten oder bei der Herstellung von Personalausweisen angewandt werden, gehören zu den symbolischen Machtinstrumenten der Ausgrenzungen (Küntzel, Donert).

Inhalt
Inhalt Einleitung Perspektiven für eine vergleichende Grenzforschung Europas Christophe Duhamelle/Andreas Kossert/Bernhard Struck 9 Erfindung und Aneignung von Grenzen Von der frontier zum Binnenraum Visionen und Repräsentationen Sibiriens als innerrussländischer Grenzraum Lutz Häfner 25 Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen Die Annexion von 1871 und ihre Auswirkungen auf das annektierte Lothringen bis zum Ersten Weltkrieg Stephanie Schlesier 51 "Grenzen" in nationalen Historiographien Drei Fallstudien über das 19. Jahrhundert: Polen, Böhmen und Rumänien Monika Baár 77 Kulturraumwissenschaft als Grenzverteidigung Geohistorie und Raumideologie im "Denkschriften-Krieg" der Weimarer Reichsreformdebatte Riccardo Bavaj 97 Das Gibraltar des Nordens Die Herstellung des schwedisch-russischen Grenzgebietes um 1900 Magnus Rodell 123 Grenzen wahrnehmen, erleben, symbolisieren Die Konkurrenz um Verortung Raumentwürfe zwischen "baltischen Provinzen" und "Latvija" im 19. und frühen 20. Jahrhundert Ulrike von Hirschhausen 155 Kontinuität und Wandel Die Wahrnehmung der sächsisch-böhmischen Grenze, 1780-1850 Martina Krocová 181 Staatsgrenze, touristisches Ausflugsziel und Ort der Begegnung Deutsche und französische Grenzerfahrungen am Col de la Schlucht im Elsass, 1871-1918 Günter Riederer 203 "Das Asien…


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