Von der Politik- zur Gesellschaftsberatung

Von der Politik- zur Gesellschaftsberatung

Einband:
Paperback
EAN:
9783593382203
Untertitel:
Neue Wege öffentlicher Konsultation
Genre:
Politisches System
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Aufl. 03.2007
Anzahl Seiten:
279
Erscheinungsdatum:
31.03.2007
ISBN:
978-3-593-38220-3

Interaktiva Herausgegeben von Christoph Bieber, Claus Leggewie und Henning Lobin

Die herkömmliche Politikberatung die bezahlte Beratung durch Experten ist in Verruf geraten: Fehlprognosen, Fälschungen und Interessengebundenheit werden ihr vorgeworfen. In diesem Band werden neue Formen von Bürgerbeteiligung am politischen Prozess der Meinungs- und Wissensbildung diskutiert, die unter dem Begriff der Gesellschaftsberatung zusammengefasst werden. Untersucht wird insbesondere die Rolle der Medien bis hin zu Weblogs, Wikis und virtuellen Bürgerkonferenzen in einer deliberativen (sich selbst beratenden) Demokratie und ihr Beitrag, die Bürgergesellschaft handlungsfähiger zu machen.

Autorentext
Claus Leggewie ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Gießen und dort Direktor des ZMI.

Klappentext
Die herkömmliche Politikberatung - die bezahlte Beratung durch Experten - ist in Verruf geraten: Fehlprognosen, Fälschungen und Interessengebundenheit werden ihr vorgeworfen. In diesem Band werden neue Formen von Bürgerbeteiligung am politischen Prozess der Meinungs- und Wissensbildung diskutiert, die unter dem Begriff der Gesellschaftsberatung zusammengefasst werden. Untersucht wird insbesondere die Rolle der Medien - bis hin zu Weblogs, Wikis und virtuellen Bürgerkonferenzen - in einer deliberativen (sich selbst beratenden) Demokratie und ihr Beitrag, die Bürgergesellschaft handlungsfähiger zu machen.

Leseprobe
Politikberater und Experten sind die Leute, auf die heute viele setzen - und jeder schimpft. In der letzten Zeit häuft sich die in vielen Fällen berechtigte Kritik an Fehlprognosen, Fälschungen und Interessengebundenheit der Politikberatung (Bäumer 2004; Glass 2006; Leif 2006), die gleichzeitig allgegenwärtig und alltäglich geworden ist. Und ganz unabdingbar: Wie sollten Verantwortliche und Verbraucher Gefahren etwa der Vogelgrippe oder des Klimawandels ohne fachlichen Rat von Meteorologen und Virologen einschätzen? Hier sind Leute am "Ohr der Macht", aber das Dilemma ist, dass heute zu jeder Expertise sogleich eine Gegenexpertise fällig wird, die den Laien verzweifeln lässt und politische Entscheidungen per se problematisch macht. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Bürgern ist komplizierter geworden. Es gab eine Zeit, in der es leicht zu beschreiben und die Zustimmung der Bürger oder Laien einfacher zu haben war. Der Deal ging ungefähr so: Ihr, die politischen Akteure, habt die Probleme, wir, die wissenschaftlichen Politikberater, verfügen über die passenden Daten und Problemlösungen. Dieser positivistisch-technokratische Ansatz, prominent von Helmut Schelsky unter dem Titel "Sachgesetzlichkeiten" vorgetragen und zuletzt vom tapferen Paul Kirchhof hochgehalten, wurde von politischer Seite immer bestritten. Carl Schmitt sah im neuzeitlichen Vordringen der Kanzler und Fachmenschen einen unerwünschten Souveränitätsverlust der politischen Autorität, Max Weber verteidigte die Autonomie der politischen Gestaltungseliten gegenüber "Fachmenschen" wie "Laien". Vor jeder Dezision forderten Wilhelm Hennis öffentliche Konsultation und Jürgen Habermas ein diskursives Wechselverhältnis von Politik und Experten, was stets den Verdacht von Weltfremdheit nach sich zog. Aber solche normativen Setzungen spiegeln tatsächliche Verschiebungen im Verhältnis von Politik wie Gesellschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert wider. Die Experten- und Elitenlastigkeit stellte sich selbst in Frage, und jenseits des alten Ringens um Dominanz zwischen Expertise und Politik tauchten neue Fragen auf: zum einen der Umgang mit Nicht-Wissen und Unsicherheit, zum anderen Ansprüche ebenso sachkundiger wie selbstbewusster Bürger auf Beteiligung und Mitwirkung. Heutzutage sind, wie es Jerome Ravetz prägnant ausgedrückt hat, "facts uncertain, values in dispute, stakes high and decisions urgent" (Ravetz 1999: 648). Der doppelte Balanceakt der Politikberater besteht folglich darin, Entscheidung durch Expertise zu informieren, ihr gleichzeitig öffentliche Zustimmung zu sichern und dabei auch noch das Problem des allfälligen Mangels an Wissen zu bearbeiten - bei dringendem, durch mediale Aufregung forciertem Entscheidungszwang. "Wozu Experten?" wird deshalb jetzt öfter gefragt. Historiker haben rekapituliert, wie sich Expertise von den Fürstenratgebern und Favoriten der frühen Neuzeit bis zu den Küchenkabinetten und Kommissionen der Gegenwart entwickelt hat (Fisch/Rudloff 2004, Brickmann 2006), Sozialwissenschaftler analysieren die Rolle von Experten im Ensemble der Risikogesellschaft (Bogner/Torgersen 2005; Heidelberger Akademie 2006). Einige postulieren eine argumentative Wende in Analyse und Planung politischer Prozesse (Fischer/Forester 1993; Fischer in diesem Band), womit auch die Wissenschaft von der Politik ihr objektivistisches Selbstverständnis aufgeben und ihre Beiträge in die öffentliche Argumentation einspeisen muss. Dadurch würde Politikberatung Demokratiedienstleistung, und zwar in einem viel weiteren Sinne als es ihr Verständnis von Publicity heute nahe legt. Wenig behandelt wurde bisher die Frage, welche Rolle Medien öffentlicher Konsultation für die geforderte Deliberation spielen (Ansätze zuletzt bei Neidhart 2006). Das starre Dreieck zwischen Wissenschaft, Politik und Experten zerfließt, Rollen werden gewechselt, im Fokus stehen nunmehr Interaktionen und Schnittflächen, aus denen sich variable Beratungsöffentlichkeiten ergeben. Experten haben es eben nicht nur mit der Berufspolitik zu tun, sondern (nach einer von Alfred Schütz übernommenen Typisierung) mehr mit dem "gut informierten Bürger" und dem "Menschen auf der Straße" (Schütz 1964). Und diese breit angelegte Wechselbeziehung wird man nicht mehr Politikberatung nennen, sondern vielleicht Gesellschaftsberatung. Damit das kein Schlagwort bleibt, bedarf es mehrerer Dinge: eines nicht-trivialen Begriffs von Partizipation in der viel beschworenen Bürgergesellschaft, einer sachten Übertragung der in der Wissenschaft eingeübten "kollaborativen Strategien" der Wissensvermittlung auf das politische Geschehen (Kuhlen in diesem Band) und der Beachtung der interaktiven Medien, die dem "Nutzer" (oder Netzbürger), anders als herkömmliche Massenmedien, eine Chance zur Rückkoppelung bieten (Leggewie/Bieber 2004). Um diese nicht nur technisch ergreifen zu können, muss man durch eine Kritik der massenmedial vermittelten Politikberatung hindurch, wie sie uns in TV-Auftritten von Kommissionspersonal der Berliner "Räterepublik" entgegengetreten ist, deren celebrity consultants beim Publikum zu einem massiven Vertrauens- und Ansehensverlust der Berater-Kaste geführt haben. Der Volksmund hat dafür den Zwitter "Dosenmaut" geprägt, im Internet zirkulieren massenhaft Berater-Witze über das Gemenge aus Zweite-Hand-Expertise, Prominenten-Marketing und Netzwerk-Lobbyismus, das uns stets im Blick auf das US-amerikanische Vorbild angepriesen worden ist. Mit "Regierung durch Diskussion", der alten Maxime deliberativer Politik, hat professionelle Beratung heute wenig im Sinn, aber Realisten haben ohnehin stets die Höherrangigkeit nicht-deliberativer Aktivitäten in der Massendemokratie herausgestellt, als da sind: politische Erziehung, Organisation, Massenmobilisierung, Demonstration, Lobbyismus, Kampagnen, Geldbeschaffung, Regierungstätigkeit (Walzer 1999). Dabei wird in der Regel nicht von Angesicht zu Angesicht mit vernünftigen Argumenten Überzeugungsarbeit geleistet, vorherrschend sind vielmehr Kommunikationstypen wie Indoktrination, Versprechen, Mehrheitswillen, Verhandlung oder Anweisung und nicht-diskursive Medien wie die Programmschrift, das Werbeplakat oder das TV-Duell und dergleichen Fernseh-Inszenierungen. Dagegen nur "Mehr Beteiligung!" zu fordern, ist müßig und verkennt zudem, dass auch Partizipation eine politisc…


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