»Schwarze Bestien, rote Gefahr«

»Schwarze Bestien, rote Gefahr«

Einband:
Paperback
EAN:
9783593381893
Untertitel:
Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich
Genre:
Neuzeit bis 1918
Autor:
Frank Oliver Sobich
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Aufl. 11.2006
Anzahl Seiten:
425
Erscheinungsdatum:
30.11.2006
ISBN:
978-3-593-38189-3

Campus Forschung

Um den Kolonialkrieg des Kaiserreichs gegen die Herero und Nama in Afrika zu rechtfertigen, wurden diese als blutdürstige Bestien dargestellt. Frank Sobich zeigt, wie dieses Bild sich in der deutschen Öffentlichkeit durchsetzte, und verfolgt seine weitere Geschichte: Bei den Reichstagswahlen von 1907 wurden die »schwarzen Bestien« zusammen mit der »umstürzlerischen « Sozialdemokratie und dem angeblich feindlichen Ausland zu einer nationalen Bedrohung aufgebauscht.

"Das Buch gehört zu den Werken, die heute den Diskurs in den postcolonial studies um die Auswirkungen des Kolonialismus auf die europäischen Gesellschaften entscheidend mitbestimmen.", Jahr Buch für Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 01.09.2012

Autorentext
Frank Oliver Sobich promovierte an der Universität Bremen und arbeitet in der Jugend- und Erwachsenenbildung.

Leseprobe
Das Deutsche Kaiserreich und seine Kolonien sind in den letzten sechs, sieben Jahren wieder verstärkt in das öffentliche Interesse gerückt. Sei es, weil sich "Deutschlands erster Griff nach der europäischen Union" schon bald zum hundertsten Mal jährt - und auch ohne den I. Weltkrieg zu einer Urkatastrophe zu mystifizieren, verspricht dessen Vorgeschichte doch einigen Aufschluss über die Entwicklung des 20. Jahrhunderts zu geben. Sei es, weil die politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um den hundertsten Jahrestag des Aufstandes der Herero den Blick dafür geschärft haben, dass das Deutsche Reich wirklich Kolonien besessen hat, und dass die Unterwerfungs- und Ausrottungsfeldzüge des Dritten Reichs nicht eine Episode in der deutschen Geschichte darstellen, die sich aus einem ansonsten merkwürdigen, aber bis dahin eher etwas kurios-harmlosen Sonderweg ergeben haben. Sei es, weil heute als Endpunkt des "langen Wegs nach Westen" (Winkler) die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union zu einem Akteur von internationalem Gewicht geworden ist. Egal ob man "die gleichen Argumente, die gleichen Triebkräfte, die gleichen Schauplätze, die gleichen Achsen" am Werke sieht oder hofft, Deutschland werde seine "Mittellage" in einem ebenso "moderaten, wie moderierenden Sinne" verstehen - ein Blick auf die imperiale Vergangenheit Deutschlands verspricht den einen oder anderen Erkenntnisgewinn. (Sollten sich Parallelen ergeben, wäre freilich noch die Frage, was für Schlussfolgerungen sich daraus ergeben würden). Um die Wahrheit zu sagen, all diese Gründe hatten mit der Entstehung dieser Studie wenig zu tun. Als ich 1997 den Entschluss fasste, mich mit den "Hottentotten-Wahlen" und ihren Auswirkungen zu beschäftigen, war ich - sensibilisiert durch die gravierenden Einschränkungen des Asylrechts und die dem vorhergehenden öffentlichen Diskussionen fasziniert von der Wirkung einer rassistischen und nationalistischen Kampagne auf die sozialistische Arbeiterbewegung und ihre Funktion beim Anpassungsprozess der Sozialdemokratie. Die Aufstände in Südwestafrika selber waren mir aus meinem Geschichtsunterricht in Erinnerung, damals bildeten sie aber gerade mal die bekanntesten Punkte eines insgesamt eher randständigen Themas. Das Interesse an der Funktionsweise einer solchen öffentlichen Kampagne und ihrer Wirkung ist geblieben, aber es sind mit der Zeit andere Fragen hinzugekommen: Nach dem Verhältnis von Realität und rassistischer Wahrnehmung, nach der Bedeutung und dem Eigensinn von negativen und positiven Bildern für rassistische Weltbilder, nach Genese und Bedeutung des Antisozialismus, nach dem Verhältnis von privatem Ressentiment, öffentlicher Meinung und Außenpolitik. Einige frühe Arbeitshypothesen, wie etwa die Vermutung, die Kampagne gegen die Herero und Nama sei stark sexualisiert gewesen, oder die Annahme, die Kriegsbegeisterung 1914 habe ein klassen- und regionenübergreifendes Phänomen dargestellt, mussten als falsch aufgegeben werden. Punkte, die mir zunächst zentral erschienen, etwa die Nationalisierung des Parteiensystems oder die Eigendynamik des "Elektionismus" der Sozialdemokratie, sind mit der Zeit an den Rand des Forschungsinteresses gerückt. Das, was diese Arbeit als Erweiterung anderer Untersuchungen der "Hottentotten-Wahlen" zu leisten versucht, die inhaltliche Analyse des Wahlkampfes 1906/1907 anhand von Flugblättern, eröffnete sich als Forschungsperspektive erst in der heißen Phase, als diese Arbeit im Kopf des Autors bereits - andere - Gestalt angenommen hatte. Forschungsgegenstände und Fragestellungen Die folgenden Kapitel fokussieren die mittlerweile umfassend untersuchten Aufstände der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 1904-1907 und die ebenfalls gut untersuchten, aber deutlich weniger präsenten Wahlen und den Wahlkampf 1906/1907 in dreierlei Hinsicht: Zum einen als bislang ignorierte Vorgeschichte der Kampagne gegen die "schwarze Schmach" 1919, die bleibende Bedeutung für das Bild von Schwarzen in Deutschland hatte; zum zweiten als weitgehend unterschätzte Etappe des Anpassungs- und Nationalisierungsprozesses der sozialistischen Arbeiterbewegung und zum dritten als bislang zumeist fehlgedeutete neue Stufe nationaler Mobilisierung in einer Epoche sich immer weiter verschärfender internationaler Spannungen. Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, zu zeigen, wie sich aufgrund der öffentlichen Verarbeitung zweier Aufstände in den Kolonien in den Jahren 1904-1906 das Bild von schwarzen Menschen in Deutschland veränderte, wie dieses veränderte Bild in einer bestimmten politischen Situation, nämlich den sogenannten "Hottentotten-Wahlen" politisch nutzbar gemacht wurde, wie dieses Bild mit dem Bild des revolutionären Proletariers und der Bedrohung durch das feindliche Ausland in einer machtvollen nationalistischen und rassistischen Kampagne zusammengeschlossen wurde und welche Auswirkungen dies sowohl auf das Kaiserreich, als auch auf seine Alternativgesellschaft, die Arbeiterbewegung, hatte. Bis zum Aufstand 1904 spielten weder schwarze Menschen noch die Kolonien jenseits kurzer Kampagnen eine größere Rolle im öffentlichen Bewusstsein des deutschen Kaiserreichs. Die Berichterstattung über den Aufstand konzentrierte sich auf die Darstellung von angeblichen Gräueltaten der Herero und Nama, deren weitgehende Vernichtung mit diesen Taten gerechtfertigt wurde. Das durch diese Berichterstattung entworfene Bild der schwarzen, mordlüsternen Bestie führte zur - zunächst noch umstrittenen - Etablierung eines bestimmten Konzepts von schwarzen Menschen. Das bisher dominante, kulturalistisch-rassistische Bild vom "Neger" als erziehungsbedürftigem Kind, das mit anderen Bildern ("Wilder", "unbeschwerter Naturmensch") koexistierte, wurde durch ein neues, eindeutiges, tendenziell biologistisch-rassistisches Bild vom "Neger" als Tier in den Hintergrund gedrängt - ohne dass die anderen Bilder dadurch vollständig verschwanden. Nun existiert Rassismus nicht jenseits politischer Konjunkturen: Die Wahlbewegung, wie man damals den Wahlkampf nannte, von 1906/1907 griff dieses noch nicht völlig durchgesetzte Bild auf und stellte es zusammen mit weiteren Bedrohungen in einen politischen Kontext. Es geht im Folgenden also um eine Rekonstruktion der Reorganisation gesellschaftlicher Zuschreibungen, das heißt ab wann und in welcher Weise die Schwarzen im öffentlichen Bewusstsein als Feinde erschienen. Dabei wird sich zeigen, dass rassistisches Denken die Gruppen, die es hasst oder liebt, nicht jedes Mal neu erfindet: Vorhandene Vorstellungen werden neu bewertet, in einen neuen Kontext gestellt und/oder ihnen eine neue Qualität zugesprochen, bislang verbreitete, dazu widersprüchliche Vorstellungen werden entweder direkt angegriffen oder existieren beziehungslos neben dem neuen Bild her, bis sie verschwinden oder einen neuen rassistischen Sinn bekommen. Die sozialistische Arbeiterbewegung spi…


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