Das gekaufte Herz

Das gekaufte Herz

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783593380124
Untertitel:
Die Kommerzialisierung der Gefühle
Genre:
Arbeits-, Wirtschafts- & Industriesoziologie
Autor:
Arlie Russell Hochschild
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
Erw. Neuausgabe
Anzahl Seiten:
232
Erscheinungsdatum:
2006
ISBN:
978-3-593-38012-4

Kontrolle und Regulierung der eigenen Gefühle werden sowohl im Privatleben als auch im modernen Arbeitsleben immer wichtiger. Vor allem im Dienstleistungssektor und im sozialen Bereich, wo bevorzugt Frauen arbeiten, sind viele Menschen gezwungen, ihre Gefühle fortwährend zu zensieren. In ihrem Buch zur Kommerzialisierung der Gefühle, erstmals 1983 in englischer Sprache erschienen, schildert Arlie Russell Hochschild sehr anschaulich, wie das »Gefühlsmanagement« die menschliche Psyche beeinflusst und wie dabei Herz und Verstand zusammenwirken. Ihr Buch ist ein grundlegender Beitrag zu einer soziologischen Theorie der Gefühle und gibt darüber hinaus spannende Einblicke in die privaten und beruflichen »Gefühlsstrategien«, die eigenen wie die der anderen.

Autorentext
Arlie Russell Hochschild ist Professorin für Soziologie an der University of California in Berkeley.

Leseprobe
Vorwort zur deutschen Neuausgabe Was empfinden wir? Was sollten wir empfinden? Wie wirken wir auf unsere Gefühle ein, damit sie den von uns gewünschten Gefühlen besser entsprechen? Welche Kämpfe spielen sich zwischen unserem kontrollierten und unkontrollierten Selbst ab? Das sind die Kernfragen, die diesem Buch über Flugbegleiterinnen und Inkassoangestellten zugrunde liegen. Sie erscheinen mir heute, dreißig Jahre nach seiner Entstehung, noch drängender als damals. Wir leben in einer zunehmend kommerzialisierten Welt. In den Vereinigten Staaten und in geringerem Ausmaß auch in Deutschland und im übrigen Europa sind Familien zerbrechlicher geworden und lokale Gemeinschaften haben an Lebenskraft verloren. Wie Robert Putnam in Bowling Alone gezeigt hat, ist die Wahlbeteiligung der Amerikaner an nationalen wie kommunalen Wahlen in den vergangenen dreißig Jahren zurückgegangen. Immer weniger Menschen engagieren sich ehrenamtlich an ihrem Wohnort. Sie verbringen sogar weniger Zeit mit ihren Freunden. Immer weniger Menschen spielen ein Musikinstrument und die Zeit für gemeinsame Gespräche zu Hause ist deutlich zurückgegangen. Dagegen hat der Fernsehkonsum und die in Einkaufszentren verbrachte Zeit zugenommen. Die Menschen wenden sich dem Markt zu. Familie und Gemeinschaft - von Jürgen Habermas seinerzeit als Lebenswelt bezeichnet - sind geschrumpft und haben ein kulturelles Vakuum erzeugt, in das die Welt der Systeme, und hier vor allem der Markt, immer stärker eindringen. Wirtschaftliche Entwicklungstrends, darunter verlängerte Wochenarbeitszeiten und unregelmäßige Arbeitsrhythmen, beeinträchtigen das häusliche Leben. Dessen Verödung führt mitunter zu einer nostalgischen Sehnsucht nach der Familie von einst oder weckt einfach den Wunsch nach einem glücklicheren Leben. Vor diesem Hintergrund bieten Dienstleister und die Werbung den Menschen an, sich das Familienleben, das ihnen erst geraubt wurde, Stück für Stück wieder zurückzukaufen. Neue Angebote werben damit, den idealen Lebensgefährten zu finden, eine Traumhochzeit zu arrangieren, den perfekten Kindergeburtstag auszurichten oder die älteren Angehörigen zu besuchen und zu betreuen. Was der Markt den Menschen durch lange Arbeitszeiten entzieht, bietet er ihnen nun als bezahlte Dienstleistung. Viele Familiendienstleistungen werben mit dem Versprechen gewonnener Zeit, in der man endlich das tun könne, was man wirklich möchte. Sie stellen mehr qualitatitve Zeit in Aussicht, während sie von zeitfressenden Aufgaben, also von quantitativer Zeit, zu entlasten versprechen. Paradoxerweise werben einige Anbieter aber gerade mit der Übernahme qualitativer Tätigkeiten. In einer Annonce zur Haustierbetreuung bietet der Inserent dem Kunden an, der Katze oder dem Hund qualitative Zeit zu widmen. Eine andere Anzeige bietet qualitative Zeit für ältere Familienangehörige. Ein kürzlich vom San Francisco Chronicle finanziell unterstütztes "Miet-Dir-eine-Großmutter"-Programm vermittelt gegen ein entsprechendes Honorar jungen Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft (aus den Philippinen, Mexiko, Italien), die nur wenig über die Küche ihrer Herkunftsländer wissen, sozusagen Ersatzgroßmütter, die sie beim Einkauf beraten und ihnen beibringen, wie man die typischen regionalen Gerichte zubereitet. Derartige Anzeigen sind noch Randerscheinungen im amerikanischen Alltag, aber sie berühren viele von uns in merkwürdiger Weise oder machen uns traurig - es sei denn, man ist bereits der Marktlogik verfallen. Als ich einer Bekannten erzählte, dass ich gerade Lebensberater befrage, die Menschen dabei unterstützen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, antwortete sie: "Das ist doch lächerlich. Dafür sind doch Freunde da!" Aber dann fragte sie mich: "Wie war doch gleich die Telefonnummer?" Die Marktlogik erzeugt eine neue Sichtweise auf das Leben. Man kann sich immer mehr Lebensbereiche vorstellen, die von anderen Menschen erledigt werden können. Jemand anderes kann dafür bezahlt werden, das Fotoalbum der Familie zusammenzustellen, die Kleider zu ordnen, Einladungen zu verschicken, die Luftballons für den Kindergeburtstag aufzublasen oder die Großmutter zu besuchen. Eine Botschaft dieser Annoncen ist das Versprechen, dass der Dienstleister all dies besser kann als man selbst. Der Blick auf das Leben durch die Brille des Marktes lenkt unsere Aufmerksamkeit nicht auf den Prozess, auf die Art und Weise, wie etwas gemacht wird, sondern auf das Ergebnis. Ein vielbeschäftigter Spitzenmanager brachte es in seiner Antwort auf meine Interviewfrage, ob er es nicht bedauere, nicht mehr Zeit mit seinen Kindern verbracht zu haben, auf den Punkt: "So gefragt kann ich nur sagen, ich bin sehr zufrieden, was aus ihnen geworden ist." Von grundlegendem Interesse an diesen Entwicklungen ist, wie die Marktperspektive unsere Gefühlswelt beeinflusst. So wie ich in Das gekaufte Herz die Bedeutung der Gefühlsregeln für unser Arbeitsleben aufgezeigt habe, wird unter der Marktperspektive die Rolle der Gefühle für unser Leben als Konsumenten sichtbar. In einer Marktgesellschaft erwarten wir emotionale Befriedigung beim Einkaufen, beim Erwerb eines Gutes, beim Betrachten unseres Kaufs, beim Ausrangieren eines alten Stücks und der Suche nach einem neuen. Dabei lernen wir stillschweigend über andere Aspekte des Lebens hinwegzusehen, sie nicht einmal mehr zu vermissen. Was zählt, ist der emotionale Augenblick, die Sensation beim Kauf eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung. Und dann kommt noch etwas hinzu. Wir übertragen die Regeln und Muster unserer Gefühlsarbeit aus dem Leben auf dem Markt auf unsere nicht-marktförmigen Lebensbereiche. Wir leben unser nicht-marktförmiges Leben so, als ob wir einkaufen, Waren erwerben oder wegwerfen. Im Kern besteht das Problem aus meiner Sicht nicht darin, ob das Kaufen dieses oder jenes Gegenstandes oder einer Dienstleistung oder ob sogar die Idee des Kaufens im Allgemeinen gut oder schlecht sind. Vielmehr geht es darum, was der Markt ausschließt, und es geht um eine Vision davon, wie das Leben in einer lebendigen Gemeinschaft und einem entspannten Zuhause aussehen könnte, in dem die Menschen Freude und Befriedigung selbst gestaltet erleben können. Wir verhalten uns zu unserem sozialen Leben als Konsumenten und nicht als Produzenten. Paradoxerweise managen wir aber unser Gefühlsleben in gleicher Weise zu Konsumzwecken und zur Produktion. Ich bin überzeugt, dass die heute weltweit außer Kontrolle geratenen Kräfte uns immer tiefer in diese Welt des Kommerzes verstricken. Machtvoll beeinflussen sie die Art und Weise, wie wir mit unseren Gefühlen im persönlichen Leben umgehen. In einem bestimmten Sinne sind wir alle Flugbegleiter und Passagiere zugleich. Die entscheidende Frage ist: Wohin fliegen wir?

Inhalt
Inhalt Vorwort zur deutschen Neuausgabe 7 Die Kultur des emotionalen Kapitalismus - eine Einleitung von Sighard Neckel 13 Teil I Privatleben Kapitel 1: Auf der Suche nach dem gekauften Herzen 27 Das private und das öffentliche Gesicht der Gefühle 33 Quellen und Me…


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