Walks on the Wild Side

Walks on the Wild Side

Einband:
Paperback
EAN:
9783593375007
Untertitel:
Eine Geschichte der Stadtforschung
Genre:
Stadt- & Regionalsoziologie
Autor:
Rolf Lindner
Herausgeber:
Campus Verlag GmbH
Auflage:
1. Aufl. 05.2004
Anzahl Seiten:
240
Erscheinungsdatum:
31.05.2004
ISBN:
978-3-593-37500-7

Die Stadt, der "dunkle Kontinent"

Die Stadt, der "dunkle Kontinent" Die Geschichte der Stadtforschung ist eine Geschichte der Erforschung "anderer Räume", der Quartiere der Armen, der Außenseiter. Entlang methodisch wie analytisch bahnbrechender Studien - von Henry Mayhews Großwerk über die Londoner Armen bis hin zum Projekt des Bourdieu-Schülers Loïc Wacquant, der das professionelle Boxen lernte, um die Chicagoer South-Side zu erkunden - lässt Rolf Lindner die Geschichte der Stadtforschung seit dem 19. Jahrhundert Revue passieren. Er führt in Themen und Methoden der Stadt-Ethnografie ein und berichtet auch von den Motiven und Obsessionen der Forscher, die es immer wieder in die unheimlichen Teile der Stadt gezogen hat.


Die Geschichte der Stadtforschung ist eine Geschichte der Erforschung "anderer Räume", der Quartiere der Armen, der Außenseiter. Entlang methodisch wie analytisch bahnbrechender Studien - von Henry Mayhews Großwerk über die Londoner Armen bis hin zum Projekt des Bourdieu-Schülers Loïc Wacquant, der das professionelle Boxen lernte, um die Chicagoer South-Side zu erkunden - lässt Rolf Lindner die Geschichte der Stadtforschung seit dem 19. Jahrhundert Revue passieren. Er führt in Themen und Methoden der Stadt-Ethnografie ein und berichtet auch von den Motiven und Obsessionen der Forscher, die es immer wieder in die unheimlichen Teile der Stadt gezogen hat.

Autorentext
Rolf Lindner ist Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Klappentext
Die Stadt, der "dunkle Kontinent" Die Geschichte der Stadtforschung ist eine Geschichte der Erforschung "anderer Räume", der Quartiere der Armen, der Außenseiter. Entlang methodisch wie analytisch bahnbrechender Studien - von Henry Mayhews Großwerk über die Londoner Armen bis hin zum Projekt des Bourdieu-Schülers Loïc Wacquant, der das professionelle Boxen lernte, um die Chicagoer South-Side zu erkunden - lässt Rolf Lindner die Geschichte der Stadtforschung seit dem 19. Jahrhundert Revue passieren. Er führt in Themen und Methoden der Stadt-Ethnografie ein und berichtet auch von den Motiven und Obsessionen der Forscher, die es immer wieder in die unheimlichen Teile der Stadt gezogen hat.

Leseprobe
Die Großstadt des 19. Jahrhunderts erscheint jenen, die sich als erste der Stadtforschung zuwenden, als eine immense terra incognita, als ein unbekanntes Land, das es zu erkunden gilt. "Auf dem Lande", schreibt Charles Booth, einer der Pioniere der Stadtforschung, "liegt das Gewebe des menschlichen Lebens offen zutage; persönliche Beziehungen binden das Ganze zusammen. Das Gleichgewicht, auf dem die bestehende Ordnung beruht, ist, ob zufriedenstellend oder nicht, eindeutig und offensichtlich. Ganz anders sieht es in den Großstädten aus, wo wir, was diese Fragen angeht, in Dunkelheit leben, mit zweifelnden Herzen und aus Unkenntnis sich ergebenden unnötigen Ängsten." (Booth 1889, S. 1) Charles Booth (1840-1916), Reeder und Reformer, war Initiator und Leiter eines der gewaltigsten Unternehmen in der Geschichte der Stadtforschung, Life and Labour of the People in London, eine 17-bändige Studie über Armut in London. Booth, der als "geborener Geschäftsmann" beschrieben wird, scheint der Idealtypus des viktorianischen Bürgers gewesen zu sein, dessen methodische Lebensführung der Sozialforscherin und Booth-Mitarbeiterin Beatrice Webb zufolge so ausgeprägt war, dass man darin gleichsam eine Verkörperung der Protestantischen Ethik sehen konnte: "Gewissen, Vernunft und Neigung zur Pflicht sind seine großen Qualitäten; andere Eigenschaften kann man an ihm gar nicht entdecken, wenn man nicht sehr eng befreundet ist." (Webb 1988, S. 264) Seine ausgesprochen starke empirische Orientierung verdankte sich keiner akademischen Ausbildung, sondern den Erfahrungen aus dem Geschäftsleben, als Reeder und Großkaufmann, der schon früh so etwas wie eine Trendanalyse entwarf. Die Orientierung an Zahlen und Tatsachen übertrug er auf seine Untersuchungstätigkeit, die er angeblich hauptsächlich abends und nachts, nach Geschäftsschluss, durchführte. Dabei entwickelte er ein Verständnis von Sozialforschung als Mittel der rationalen, auf Fakten beruhenden Erschließung der Wirklichkeit zur Optimierung sozialpolitischer Eingriffe. London wird in der Viktorianischen Zeit zu einem "demographischen Koloss " (David Green), ein "Viktorianisches Babylon" (Lynda Nead), eine "Monster Metropole" (Henry Mayhew), mit der sich keine andere Stadt messen kann; selbst Paris, für Walter Benjamin "Hauptstadt des 19. Jahrhunderts", ist nur halb so groß. Von hier nimmt die Stadtforschung ihren Ausgang und sie tut dies, wie wir noch sehen werden, methodisch und moralisch im protestantischen Geiste, als "Victorian Evangelical discourse" (Christopher Herbert). Die Ängste, auf die Booth anspielt, haben ihren Grund in der räumlichen Segregation der sozialen Klassen, die sich in der Großstadt des 19. Jahrhunderts vollzieht. Als eines ihrer Charakteristika wird angesehen, dass es in ihr zur "räumlichen Konfiguration der Gesellschaft" (Elisabeth Pfeil) kommt. Diese nimmt in den meisten europäischen Großstädten den Ost-West-Gegensatz an: Im Westen liegt meistens das feine Wohnviertel der Wohlhabenden, im Osten das Massenquartier der werktätigen Armen. Im London der Viktorianischen Ära, dem Untersuchungsfeld von Booth, gewinnt der Gegensatz zwischen Ost und West seine wohl krasseste, in Gareth Stedman Jones' sozialhistorischer Studie Outcast London zum Thema gemachte Ausprägung. Aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind "auch in Berlin, wie in London, gewisse Stadtteile ganz den Arbeitern ausgeliefert ", wie es Werner Hegemann in seiner Abhandlung über "Das steinerne Berlin" formuliert (Hegemann 1979, S. 240). Diese topographische Trennung wird in der Regel meteorologisch, nämlich mit den in Europa vorherrschenden Westwinden begründet, die dazu führten, dass Industrieanlagen, und folglich auch Mietskasernen, im Osten der Stadt errichtet wurden - und damit, im Gegenzug, den "Zug nach dem Westen" (so der Titel eines Berlin-Romans aus der Gründerzeit) provozierte, "von dem arbeitsamen und erwerbenden nach dem genießenden und ausgebenden Berlin" (Lindau 1886, S. 74). Die sozialräumliche Verteilung hat von Anfang an eine symbolische Dimension, die die Trennung zu einem Graben vertieft, den es zu überwinden gilt, um, wie es eine gängige Metapher der sozialen Emissäre zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt, an das "andere Ufer" zu gelangen. Auf historisch eigentümliche Weise kann Berlin bis heute als Beispiel für diesen symbolischen Trennungsprozess - die "Mauer im Kopf" - gelten, hat sich doch die sozialräumliche Spaltung der Stadt, diesseits und jenseits der Systeme, in das kollektive Gedächtnis ihrer Bewohner eingebrannt. Die Trennung in "Ost" und "West" geht im Viktorianischen London mit einer imaginären Geographie einher, die zwischen "unserem Land" und dem "Land der Barbaren" unterscheidet, eine Variante der imperialen Konstruktion von Orient und Okzident (Said 1995, S. 54). Nicht von ungefähr ist, in zeitgenössischer Analogie zu Afrika, vom Osten der Stadt als dem "dunklen Kontinent " die Rede: die unbekannte, nur "ein Steinwurf weit" entfernte Welt, die zum Auslöser kultureller Phantasien hinsichtlich ihrer Bewohner wird. Es ist also die räumliche Absonderung der unteren Klassen, die Anlass zur Sorge und damit zur Forschung gibt. "Der höheren Inspektion und der öffentlichen Beobachtung entzogen", wie es in Edwin Chadwicks Report into the Sanitary Conditions of the Labouring Population in Great Britain (1842) heißt, galt es, die Distrikte der Arbeiter und Pauper dem registrierenden Blick…


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