Genre:
Östliche Philosophie
Herausgeber:
De Gruyter Akademie Forschung
Erscheinungsdatum:
25.10.2006
Günter Frank, Anja Hallacker, Sebastian Lalla (Hrsg.)
Erzählende Vernunft
Philosophie, die sich als Disziplin rationaler Argumentation versteht, tut sich heutzutage mit Erzählungen schwer, weil Erzählen ein dezidiert von jeder formalen Logik abweichendes Konzept der Repräsentation darstellt.
Dabei gibt es eine reichhaltige Tradition, in der die enge Verbindung von Geschichte und Geschichten sowohl als produktives Element philosophischer Reflexion als auch als strukturierendes Konzept historischer Selbstbezeugung dient.
Das Paradigma der Erzählung stiftet durch seine Geschlossenheit, die dem Faktischen immer an antizipierter Einheit und Ganzheit voraus liegt, die Möglichkeit, unverfügbare Geschehen zu interpretieren. Die Bewältigung einer lebenswirklichen Gesamtheit wird dadurch rational erfassbar und lässt sich verwalten.
Zum anderen ist die Perspektive einer erzählten Vernunft die Frage nach dem Sinn einer Wirklichkeit, die von sich aus keinen Sinn preisgibt. Indem Philosophie erzählt, öffnet sie hermeneutisch eine Tür zum Verständnis von Wirklichkeit und ihrer selbst. Hermeneutik ist dann vor allem die Darstellung der immanenten Momente eines Sinnes, der im Nachvollzug seiner Darstellung erst zur Erscheinung gebracht werden kann.
Aus dem Inhalt:
Mit Beiträgen von:
Olaf Breidbach, Paul Richard Blum, Thomas Brose, Saverino Campanini, Anne Eusterschulte, Hans Feger, Günter Frank, Anthony Grafton, Ralph Häfner, Anja Hallacker, Gerald Hartung, Klaus Herrmann, Wolf-Peter Klein, Wilhelm Kühlmann, Sebastian Lalla, Esteban Law, Sicco Lehmann-Brauns, Thomas Leinkauf, Matthias Lutz-Bachmann, Martin Mulsow, Hanns-Peter Neumann, Sascha Salatowsky, Ulrich Johannes Schneider, Friedrich Vollhardt und Norbert Winkler
philosophie, die sich als Disziplin rationaler Argumentation versteht, tut sich heutzutage mit Erzählungen schwer, weil Erzählen ein dezidiert von jeder formalen Logik abweichendes Konzept der Repräsentation darstellt. Dabei gibt es eine reichhaltige Tradition, in der die enge Verbindung von Geschichte und Geschichten sowohl als produktives Element philosophischer Reflexion als auch als strukturierendes Konzept historischer Selbstbezeugung dient. Das Paradigma der Erzählung stiftet durch seine Geschlossenheit, die dem Faktischen immer an antizipierter Einheit und Ganzheit voraus liegt, die Möglichkeit, unverfügbare Geschehen zu interpretieren. Die Bewältigung einer lebenswirklichen Gesamtheit wird dadurch rational erfassbar und lässt sich verwalten. Zum anderen ist die Perspektive einer erzählten Vernunft die Frage nach dem Sinn einer Wirklichkeit, die von sich aus keinen Sinn preisgibt. Indem Philosophie erzählt, öffnet sie hermeneutisch eine Tür zum Verständnis von Wirklichkeit und ihrer selbst. Hermeneutik ist dann vor allem die Darstellung der immanenten Momente eines Sinnes, der im Nachvollzug seiner Darstellung erst zur Erscheinung gebracht werden kann.
Zusammenfassung
"Mit der thematischen Ausrichtung des Bandes werden viele Aspekte philosophischer Reflexion bearbeitet. Deutlich wird, dass Philosophie in ihrer Rationalität an der das Denken unausweichlich begleitenden Narrativität nicht vorbei kann, ohne Wesentliches im Wissen um Mensch, Welt und Geschichte preiszugeben."
Doris Hiller in: Theologische Literaturzeitung, 132 (2007) 11
Leseprobe
SICCO LEHMANN-BRAUNS
Überlegungen zur Bestimmung von Geschichte als Bewußtseinsgegenstand (S. 175-176)
"Solange etwas ist, ist es nicht das, was es
gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist,
ist man nicht mehr der, dem es passierte."
Robert Walser, Ein springender Brunnen
1. ‚Geschichte' als Bewußtseinsgegenstand
Die Rede vom ‚Geschichtsbewußtsein' legt die Annahme nahe, dass Geschichte einen ausgezeichneten Gegenstands- resp. Inhaltsbereich des Bewußtseins darstellt, der sich spezifisch von anderen möglichen Bewußtseinsinhalten unterscheidet. Daher soll zunächst nach der objektbezogenen Spezifik von Geschichtsbewußtsein gefragt werden. Insofern die Spezifik von historischem Wissen als Bewußtseinsgegenstand erkannt und thematisiert wird, bietet sich hier ein besonders fruchtbares Feld für den intensivierten Dialog zwischen Wissenschaftstheorie, Geschichtswissenschaft und neuerdings auch Gehirnwissenschaft, wie er durch den Eröffnungsvortrag von Wolf Singer auf dem Historikertag in Aachen angestoßen und jüngst u.a. von Joachim Fried aufgegriffen wurde.
Wurden die philosophischen Implikationen der Einsichten der kognitiven Neurobiologie vor allem im Kontext der Freiheitsdebatten früh mitbedacht2 – und in diesem Feld sind sie ohne Zweifel am brisantesten – so steht eine intensivere Diskussion der Auswirkungen der hirnwissenschaftlichen Erkenntnisse auf die wissenschaftstheoretische Fundierung der Geschichtswissenschaft und damit auch auf die Theoriegebäude der Geschichtsdidaktik noch weitgehend aus. Ein erster Schritt könnte in einer Explikation von Geschichtsbewußtsein im Lichte nicht allein der kognitionspsychologischen sondern nun auch der neurophysiologischen Gedächtnisforschung liegen, deren Resultate allerdings einer Einbettung sowohl in die wissenschafts- als auch sozialphilosophischen Überlegungen zu Funktion und Bedeutung von Geschichtsbewußtsein bedürfen.
1.1. Merkmale der Gehalte von Geschichtsbewußtsein
Was also unterscheidet ‚Geschichte' als Sammelbegriff geschichtlicher Bewußtseinsgehalte von anderen Bewußtseinsgehalten, beispielsweise von Zahlen, von wahrgenommenen Dingen unserer Umwelt oder von fiktionalen Vorstellungen, wie sie als Gegenstände etwa des mathematischen, des naturwissenschaftlichen oder des literarischen Unterrichts ausgemacht werden können?
Aus neurobiologischer Perspektive erweist sich nicht erst unsere Erinnerung sondern bereits unsere Wahrnehmung wesentlich als eine mentale Konstruktion. Sie wird gesteuert von den kognitiven Prozessen der Informationsgewinnung und Verarbeitung in unserem Gehirn, das nur einen Ausschnitt dessen verarbeitet, was an Informationen über ein Ereignis an sich zur Verfügung stünde.
Die Erinnerung ist nun nochmals in höherem Maße von kognitiven Prozessen abhängig, so daß der Abstand zwischen Ereignis und Erinnerung noch um ein vielfaches größer ist als der zwischen Ereignis und Wahrnehmung.
Um zu nachträglich abrufbaren Gedächtnisgehalten zu werden, müssen Wahrnehmungen zunächst aus dem Kurzzeitgedächtnis in den Langzeitspeicher des episodischen Gedächtnisses übertragen werden, ein Vorgang der sich wiederum nicht als abbildende Transformation vollzieht, sondern weitere Selektions- und Verformungsprozesse einbegreift. Fried benennt allein 16 primäre Verformungskräfte bei der Bildung eines Erinnerungsbildes. Das Resultat dieser Prozesse ist nun kein fester Gedächtnisgehalt, sondern eine interne Fluidität des Ged&a
Inhalt
Mit Beiträgen von: Olaf Breidbach, Paul Richard Blum, Thomas Brose, Saverino Campanini, Anne Eusterschulte, Hans Feger, Günter Frank, Anthony Grafton, Ralph Häfner, Anja Hallacker, Gerald Hartung, Klaus Herrmann, Wolf-Peter Klein, Wilhelm Kühlmann, Sebastian Lalla, Esteban Law, Sicco Lehmann-Brauns, Thomas Leinkauf, Matthias Lutz-Bachmann, Martin Mulsow, Hanns-Peter Neumann, Sascha Salatowsky, Ulrich Johannes Schneider, Friedrich Vollhardt und Norbert Winkler
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