Die Torte und andere Erzählungen

Die Torte und andere Erzählungen

Einband:
Fester Einband
EAN:
9783630871516
Untertitel:
Deutsch
Genre:
Erzählende Literatur & Romane
Autor:
Franz Hohler
Herausgeber:
Luchterhand Literaturverlag
Anzahl Seiten:
208
Erscheinungsdatum:
05.08.2004
ISBN:
978-3-630-87151-6

Den Kaffee hat er bezahlt, jetzt steht er vor dem Restaurant auf der Paßhöhe, aber anstatt sich in sein Auto zu setzen und seinen nächsten Termin wahrzunehmen, schlägt er den Weg hinauf zu dem weiter oben gelegenen Denkmal ein. Eine kleine Wanderung wird ihm guttun doch so beschwingt der Ausflug beginnt, dieser Mann wird nie mehr in seinen Alltag zurückfinden. Mit einem knapp einhundert Jahre alten Mann geht eine ebenso plötzlich einsetzende Veränderung vor, als er von der Bombe hört, die im Lago Maggiore gefunden wurde. Er muß wieder an seine Zeit als junger Mann bei den Kommunisten denken, denn bei dieser Bombe handelt es sich zweifellos um jene, mit der er in den 20er Jahren Europas Außenminister bei ihrem Treffen in Locarno in die Luft sprengen wollte es bei der Absicht aber beließ. Keineswegs nur mit dem Schrecken kommt die Familie davon, als eines Tages eine asiatisch aussehende Frau in ihrer Waschküche steht und kein Wort redet. Der befreundete Parapsychologe ist ratlos, und auch der Ehemann sucht vergeblich sein Heil in der Philosophie: »Es gebe eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen«, liest er kopfschüttelnd, und ihm ergeht es, wenn er an die Fremde denkt, wie den anderen Figuren in Hohlers mit bewundernswerter Lust am Erzählen geschriebenen Geschichten. Er erlebt eine merkwürdige Rückeroberung: Eine unbekannte Welt macht der verbrauchten Rationalität ihren Platz streitig und von dieser Welt geht ein gefährlich schöner Sog aus.

"Die Torte" zeigt Hohler 2004 auf dem Höhepunkt seines Könnens als Erzähler."

Autorentext
Franz Hohler wurde 1943 in Biel, Schweiz, geboren. Er lebt heute in Zürich und gilt als einer der bedeutendsten Erzähler seines Landes. Hohler ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Alice-Salomon-Preis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Sein Werk erscheint seit über fünfzig Jahren im Luchterhand Literaturverlag.

Klappentext
Den Kaffee hat er bezahlt, jetzt steht er vor dem Restaurant auf der Paßhöhe, aber anstatt sich in sein Auto zu setzen und seinen nächsten Termin wahrzunehmen, schlägt er den Weg hinauf zu dem weiter oben gelegenen Denkmal ein. Eine kleine Wanderung wird ihm guttun - doch so beschwingt der Ausflug beginnt, dieser Mann wird nie mehr in seinen Alltag zurückfinden. Mit einem knapp einhundert Jahre alten Mann geht eine ebenso plötzlich einsetzende Veränderung vor, als er von der Bombe hört, die im Lago Maggiore gefunden wurde. Er muß wieder an seine Zeit als junger Mann bei den Kommunisten denken, denn bei dieser Bombe handelt es sich zweifellos um jene, mit der er in den 20er Jahren Europas Außenminister bei ihrem Treffen in Locarno in die Luft sprengen wollte - es bei der Absicht aber beließ. Keineswegs nur mit dem Schrecken kommt die Familie davon, als eines Tages eine asiatisch aussehende Frau in ihrer Waschküche steht und kein Wort redet. Der befreundete Parapsychologe ist ratlos, und auch der Ehemann sucht vergeblich sein Heil in der Philosophie: Es gebe eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, liest er kopfschüttelnd, und ihm ergeht es, wenn er an die Fremde denkt, wie den anderen Figuren in Hohlers mit bewundernswerter Lust am Erzählen geschriebenen Geschichten. Er erlebt eine merkwürdige Rückeroberung: Eine unbekannte Welt macht der verbrauchten Rationalität ihren Platz streitig - und von dieser Welt geht ein gefährlich schöner Sog aus.





Leseprobe
Die Torte
Wer vom Bahnhof in Locarno zur Altstadt hinuntergeht, kommt nach wenigen Schritten an einer Passage vorbei, in welcher junge Leute in farbigen Mtzen und T-Shirts sitzen, vor sich Kartonschachteln mit Pommes frites und Becher mit Coca-Cola. Die metallenen Tische und Sthle sind ber verschiedene Stufen verteilt, die nicht ganz zur Fast Food-Stimmung passen, und wer genauer hinsieht, merkt auch, warum. Es sind die Stufen, die zum Garten des alten Grand Hotels hinauffhren, zum Grand Hotel Locarno, das wie der Traum einer andern Zeit im Hintergrund steht, umgeben von Zypressen, Palmen und ppigen Rhododendronbschen, mit seiner mtigen Mittelterrasse, auf der zwischen Sen mit Blumenschalen Figuren zu Stein erstarrt sind, als sei soeben die Tanzmusik eines Kurorchesters zu Ende gegangen.
Wollen Sie weitergehen zur Piazza Grande, oder haben Sie einen Moment Zeit, eine Geschichte zu hren, die in diesem Hotel ihren Anfang genommen hat?
Erfahren habe ich sie in einem Gebe, das aus derselben Zeit stammt und dem Grand Hotel nicht einmal unlich sieht, einem Altersheim in einem der Tr hinter Locarno. Etwas bescheidener der Bau, der Mitteltrakt hinter zwei Ecktrme zurckversetzt, mit einem gron gepflasterten Platz davor, der in eine Glyzinienpergola mndet, aber oben, wo in Locarno der Name des Hotels in auswechselbaren Leuchtbuchstaben prangt, steht beim Altersheim in unverglicher Mosaikschrift der Name des Stifters.
In dieses Altersheim fhrte mich letztes Jahr eine private Angelegenheit. Der Kanton Tessin hatte begonnen, die Parzellierung der unzigen Grundstcke zu vereinfachen und den Besitzern Vorschl zur Zusammenlegung oder zu Abtchen zu machen, und da ich auf einer Alp ein kleines Stck Land mit einem Stall besitze, in dem wir gerne ein paar Sommertage verbringen, kam auch an mich eine solche Anfrage, und ich beschlo den Besitzer des Nachbargrundstcks aufzusuchen. Der lebte seit kurzem in diesem Altersheim, wir kannten uns, und er freute sich ber meinen Besuch, klagte ber sein abnehmendes Augenlicht und ber seine Zuckerkrankheit, die ihm in die Beine fahre, so daer kaum mehr gehen knne, kurz, ber das ganze zusammenbrechende System seines Krpers, fr das man auch das einfache Wort Alter benutzen kann. Er war mit dem Landabtausch, den ich ihm vorschlug, ohne weiteres einverstanden, fragte nach dem Zustand der Quelle, des Baches und der alten Kastanienbe und erzte mir von den Zeiten seiner Kindheit, als es im Dorf noch 600 Stck Vieh gab, von denen in unseren Tagen nicht einmal eine einzige Kuh brig geblieben ist.
Wend unseres Gesprs lag sein Zimmernachbar regungslos, mit halb geffnetem Mund im Bett und lienur von Zeit zu Zeit ein leises Sthnen hren. Als ich ihn einmal fragte, wie es ihm gehe, reagierte er nicht.
Er hrt nichts mehr, sagte mein Bekannter, er ist bald hundert, und ich glaube, er will schon lange sterben, kann aber nicht.
Wir fuhren mit unserm Gespr fort, und ich fragte, ob es frher auch schon Wildschweine gegeben habe am Hang oben, da hob sein Bettnachbar den Kopf und sagte: Un giorno vanno trovare la torta. Eines Tages werden sie die Torte finden, und lieseinen Kopf wieder sinken.
Mein Bekannter lelte und sagte, das sei das einzige, was der arme Kerl noch sage, und sie nennten ihn deswegen nur la torta, ein Spitzname, mit dem er bereits ins Pflegeheim gekommen sei und den er offenbar in seinem Dorf ein Leben lang getragen habe. Aber was der Grund dafr sei, wisse niemand, und es kn auch keine Familienangehrigen zu Besuch, die man fragen knne.
Ich trat zum Bett des Alten, beugte mich ber ihn und fragte: Dove vanno trovare la torta? Wo werden sie die Torte finden?
Ohne die Augen zu ffnen, sagte er: Nel lago. Im See.
Ich fragte meinen Bekannten, ob er auch gelesen habe, dadie Seepolizei krzlich im Lago Maggiore bei einer Suchaktion nach einem Ertrunkenen im Bodenschlamm eine gro Blechschachtel mit der Aufschrift Grand Hotel Locarno gefunden habe, in welcher verrostete Znder gewesen seien, die zu einer Ladung Dynamit gehrt haben knnten, und daein Relraten um diesen Fund entstanden sei.
Kaum hatte ich dies gesagt, fuhr der Alte in seinem Bett hoch, ridie Augen weit auf und rief: Lhanno finalmente trovata! Endlich haben sie sie gefunden!
Die Torte? fragte ich und fgte hinzu: Es war aber Dynamit drin.


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