Schönhauser Allee

Schönhauser Allee

Einband:
Kartonierter Einband
EAN:
9783442541683
Untertitel:
Deutsch
Autor:
Wladimir Kaminer
Herausgeber:
Goldmann
Auflage:
Originalausgabe
Anzahl Seiten:
192
Erscheinungsdatum:
01.12.2001
ISBN:
978-3-442-54168-3

Deutschland ein Russen-Märchen: Niemandem gelingt es besser als Wladimir Kaminer, uns das eigene Land wie ein Panoptikum bemerkenswerter Menschen, merkwürdiger Schicksale und unerhörter Begebenheiten erscheinen zu lassen. Wer hätte beispielsweise vermutet, dass Einkaufen zum Abenteuer werden kann? Auf der Schönhauser Allee kann es das, dank einiger Vietnamesen die ohne Sprachkenntnisse und Zählvermögen den Laden Lebensmittel betreiben. Hier wird die Ware ungeachtet ihres Inhalts nach Verpackung sortiert und der Preis nach Größe festgelegt. Sollte den Besitzern bei dieser Methode einmal das Geld ausgehen, können sie ja im Spielsalon Pure Freude, der von Erik betrieben wird, ihr Glück versuchen. Erik stammt aus Baku, war im früheren Leben Musiker und spielte in der ersten und letzten Heavy Metal Band der aserbeidschanischen Hauptstadt. Doch nicht nur im Spielsalon, überall kann man hier den unverhofften Glückstreffer landen. Ein überfüllter Müllcontainer entpuppt sich als letzte Ruhestätte einer Bibliothek, aus der es wahre Schätze zu bergen gilt. Vielleicht nicht den Ratgeber Woher die kleinen Kinder kommen, ist es doch interessanter zu erfahren, wo die kleinen Kinder hingehen, wenn sie größer werden. Bedenkenswert sind allerdings die Stilistischen Grundtendenzen in Lenins Sprache, die Seite an Seite mit der Blechtrommel und dem bang fragenden Bin ich ein Verfassungsfeind? zwischen Spinatresten verfallen. Ganz zu schweigen von russischer Lyrik inklusive Kriegspoem - guter Soldat, hübsche Strophen, alles gereimt. Wäre doch schade drum. Schade übrigens auch um das Restaurant, das bei dem Versuch, gebratenes Sushi zu kreieren, in Asche gelegt wurde. So ist eben immer etwas geboten auf den Straßen Berlins...

"Kaminer gewinnt selbst den finstersten Typen noch etwas Sympthisches, selbst den tragischsten Situationen noch etwas Komisches ab."

Autorentext
Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Mit seiner Erzählsammlung »Russendisko« sowie zahlreichen weiteren Bestsellern avancierte er zu einem der beliebtesten und gefragtesten Autoren Deutschlands.

Leseprobe
Blut auf der Schnhauser Allee

Mein Freund und Namensvetter Wladimir wohnt mit seiner Familie genau gegenber auf der anderen Seite der Schnhauser Allee. Manchmal scheint er ein richtiger Doppelger von mir zu sein, oder ich von ihm. Er ist so alt wie ich, tr denselben Namen wie ich, dieselben Klamotten, und er hat ebenfalls eine Frau und zwei Kinder. Auch seine Wohnung ist ganz lich, er raucht dieselbe Zigarettenmarke und kauft dieselben Lebensmittel immer zur gleichen Zeit im gleichen Supermarkt wie ich. Das Einzige, was uns unterscheidet, ist die Tatsache, dass seine Frau eindeutig brnett ist, meine aber nicht. Neulich beim Einkaufen bemerkte ich noch einen Unterschied: Wladimir war offenbar pltzlich Vegetarier. Er kaufte Unmengen von gefrorenem Gemse, sah dabei jedoch ganz unglcklich aus. Ich kann kein Fleisch mehr sehen, gestand er mir in der Schlange vor der Kasse. Auf dem Rckweg nach Hause erzte er, wie es dazu gekommen war.
Vor ungef einer Woche fand er auf der Autobahn ein berfahrenes Wildschwein. Siebzig Kilo Fleisch lagen auf der Stra - einfach so. Ein Geschenk des Himmels, dachte Wladimir und zerrte das tote Tier in den Kofferraum seines alten Mazda. Er hatte sich gerade am Vormittag mit seiner Frau verkracht, weil sie morgens immer so missgelaunt war, und wollte ihr nun das Wildschwein als eine Art Wiedergutmachung mitbringen: Ein Geschenk fr dich, Liebling!, so ungef stellte er sich das vor. Die Sau blutete ihm sofort den ganzen Kofferraum voll. Als Wladimir an einer Rastste anhielt, um zu tanken, bemerkte der Wirt: Da tropft Blut aus Ihrem Kofferraum, vielleicht sollten Sie mal nachschauen. Danke, ist schon gut, ich weiBescheid, antwortete Wladimir und lelte freundlich. Der Mann sagte nichts mehr und wollte von Wladimir auch kein Geld mehr fr Benzin haben.
Als er in der Schnhauser Allee ankam, war es schon sp Er musste das Wildschwein allein in den vierten Stock zerren. Dabei rutschte ihm das Tier mehrere Male die Treppe runter. Oben angekommen war er fix und fertig. Die Treppe und seine Klamotten waren voller Blut. Dazu kamen ihm die ersten Zweifel: Vielleicht war das Wildschwein doch keine so gute Geschenkidee? Nun war es jedoch zu sp Er konnte den Kadaver unmglich entsorgen. Seine Frau war nicht zu Hause, die Kinder bereits im Bett. Wladimir legte das Schwein in die Badewanne, nahm alle Waschlappen, die er in der Wohnung finden konnte, und ging ins Treppenhaus, um aufzuwischen.
Inzwischen hatten seine Nachbarn die Polizei alarmiert. Sie hatten den Streit am Morgen mitbekommen und waren nun fest davon berzeugt, dass Wladimir seine Frau umgebracht hatte. Als die LKA-Einheit ankam und die Blutspritzer vor dem Haus sah, forderte sie sofort Verstung an. Bis an die Ze bewaffnet strmten die Beamten das Haus und fanden Wladimir auf der Treppe mit einem Eimer Wasser und einem Waschlappen in der Hand, wie er das Blut wegwischte. Ich mache alles wieder gut, versprach Wladimir den Polizisten. Sie legten ihm dennoch Handschellen an und betten ihn ein wenig - zur Sicherheit. Danach folgten die Polizisten den Blutspuren nach oben und entdeckten im Waschraum das Wildschwein.
Das ist aber nicht Ihre Frau, wunderten sie sich.
Nein, erwiderte Wladimir, meine Frau ist brnett.
Und wo ist sie jetzt?
Ich weinicht, sagte Wladimir wahrheitsgem
Die Polizisten zerrten das tote Tier zu viert nach unten. Mein Doppelger musste natrlich als mutmaicher Tr mit aufs Revier. Ein Selbstmord kam nicht in Frage. Im Grunde ist Wladimir dann doch noch verhnismg heil aus der Geschichte herausgekommen: mit zweitausend Mark Strafe. Aber jetzt kann er kein Fleisch mehr sehen und ist insofern auch kein Doppelger mehr von mir. Nun muss ich ganz alleine im Supermarkt an der Fleischtheke anstehen.

Hler auf der Schnhauser Allee

Merkwrdige Dinge ereignen sich in Berlin. Nach einer langen Pause breitet sich die vietnamesische Handelskette Lebensmittel im Ostteil der Hauptstadt weiter aus. Auch bei uns im Haus an der Schnhauser Allee. Nachdem das Kinderparadies wegen Konsumentenverachtung endgltig schlien musste, hing ein gror Zettel am Schaufenster: Hier erffnet demnst Laden Lebensmittel. Schon am ersten Tag lernte ich die fnf Vietnamesen kennen, die den Laden betrieben: vier Mer und eine Frau. Alles mutige Hler. Trotz vlligen Fehlens von Sprachkenntnissen und gror Zunfgkeit - oder gerade deswegen - war der Laden immer voll. Denn jeder Kunde brauchte mindestens eine halbe Stunde, um seinen Kauf zu tgen. Ich wollte ja nur wissen, was diese Pilze kosten!, jammert ein junger Mann mit Pilzkorb in der Hand zum fnfzehnten Mal. Doch die beiden an der Kasse stehenden Vietnamesen, die Kassiererin und ihr junger freundlicher Zahlenbersetzer, lassen sich von der Kundschaft nicht provozieren und schweigen weiterhin wrdevoll. Der dritte Verker ist vor dem Gesch mit Gemse beschigt. Dabei kommt er mit einem einzigen Satz gegenber der Kundschaft aus: Vielleicht lieber das? Das passt immer, weil die meisten Deutschen so verdammt werisch sind und sich nie zwischen zwei feln entscheiden knnen.
Jedes Mal, wenn ich einkaufen gehe, freue ich mich auf die Vietnamesen. Sie bringen in die prosaische Pflichthandlung Besorgungen erledigen ein spielerisches Element, man muss sich als Kunde immer etwas einfallen lassen und auf alles gefasst sein. Das Warensortiment wird von zwei weiteren Vietnamesen aufgefllt, die fnfmal am Tag schwere Kisten in den Laden tragen. Die meisten Lebensmittel sind den Betreibern unbekannt, denn sie selbst essen etwas vllig anderes. Man riecht es jeden Tag in ihrer Mittagspause im Hausflur. Diese exotischen Gerche, die unser Haus erfllen, sind schwer zu beschreiben. Ich stelle mir dabei einen frittierten Hund mit Ananas vor.
Die meisten Produkte werden im Laden scheinbar wir…


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